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Eine Redensart sagt: Abschied nehmen ist schwer. Wie schwer es jedoch wirklich sein kann, erlebe ich gerade am eigenen Leib. Ich sitze im Auto von Leogane nach Port-au-Prince und mir ist bewusst, dass dies meine letzte Fahrt in Haiti sein wird.

Morgen geht es wieder nach Hause. Natürlich freue ich mich auf meine Lieben daheim, aber in diesem Moment ist mir nur zum Weinen zumute, weil ich die Menschen und das Leben hier so vermissen werde. Ich werde es vermissen, morgens noch völlig verschlafen im Schlafanzug aus dem Zelt zu kriechen, durch die Patientenschlange vor unserer Ambulanz zu gehen und ins Büro zu kommen.

Ich werde die Vogelspinnen vor unserem Zelt vermissen, denen wir Namen gegeben haben und sie sogar anfassen konnten. Vor allem werde ich aber die Kinder vermissen, die jeden Tag an den Zaun unserer Ambulanz kamen und laut "Saskia, Saskia" riefen; die gelernt haben "Bruder Jakob" auf deutsch zu singen und die mir im Gegenzug das Lied auf Kreol beibrachten. Dies alles sind Erinnerungen, die mir unvergesslich bleiben werden.

Hinter mir liegt ein sehr bewegender Abschiedsabend in Leogane. Am Tag vor unserer Abreise saßen wir, zusammen mit unseren Freunden - Menschen aus acht verschiedenen Nationen von acht verschiedenen Hilfsorganisationen - zusammen am Lagerfeuer. Wir lachten, spielten Gitarre, sangen und weinten gemeinsam. Jede Nation spielte ein für ihr Land typisches Lied. Es wurde die deutsche und haitianische Nationalhymne gesungen, kubanische Lieder auf der Gitarre gespielt und das italienische "O sole mio" zum Besten gegeben.

Der Abend ermöglichte es, sich für die gute Zusammenarbeit in den letzten Wochen beieinander zu bedanken. Auch Karl und Emmanuel, unsere beiden Übersetzer, sprachen uns ihre tiefe Dankbarkeit für die geleistete Hilfe für Haiti aus. Als sie dann, unter Tränen, ihre Erlebnisse während des schrecklichen Erdbebens schilderten, konnte kaum jemand die Tränen zurückhalten.

Beide verloren viele, ihnen nahe stehende, Menschen. Karl musste miterleben wie sein bester Freund direkt neben ihm starb. In einer so großen Runde von diesen schmerzlichen Erfahrungen und Schocksituationen zu erzählen, empfand ich als äußerst tapfer. Andererseits hatte ich auch das Gefühl, dass es die Beiden erleichterte, über ihre Erfahrungen zu sprechen und Zuhörer zu haben. Diese sehr persönlichen und emotionalen Schilderungen berührten mich zutiefst.

Es erinnerte mich wieder daran, wie behütet wir Helfer in unserem German Compound hier leben. Uns fehlt es eigentlich an nichts und aufgrund der hohen Sicherheitsvorkehrungen bewegen wir uns auch nur selten außerhalb des Compounds. Dabei vergesse ich manchmal fast, welch fürchterlichen Schicksalsschlag jeder Einzelne in Leogane durch das Erdbeben erleben musste und mit welchen tief verankerten Schreckensbildern jeder zu kämpfen hat.

Im Nachhinein lässt mich dieses Bewusstsein die Patienten in einem anderen Licht betrachten, die lediglich mit Kopf- oder Bauchschmerzen in unsere Ambulanz kamen, körperlich jedoch unversehrt schienen. Ich werde mich noch lange und gerne an diesen Einsatz zurückerinnern und hoffe, dass die nachfolgenden Ärzteteams ebenso erfüllende Erfahrung in Leogane sammeln können.

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