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Ole Hengelbrock ist als Assistenz-Koordinator im Libanon tätig, wo humedica mit ehrenamtlichen Medizinern syrischen Flüchtlingen Hilfe bringt. War der Eindruck der Menschen aus der Mitte des Geschehens noch ein eher fröhlicher, muss Ole aus der Ferne betrachtet auch verstörende Bilder mit ansehen.

„Aus der Ferne betrachtet, zerbricht mein romantisches Bild des Zusammenlebens. Der Muff des Camps schwillt über, der Dreck vermag nicht fortgespült werden zu können und der Umgang untereinander wirkt auf mich verstörend. Durch meine pädagogische Profession und Reiseerfahrungen bin ich mir interkultureller Differenzen in der Erziehung durchaus bewusst.

Ein Bild von Gewalt gezeichnet passt jedoch in keinen meiner Bezugsrahmen: Ein älterer Mann fasst einen Jungen. Er mag etwas ausgefressen haben, denn neben lauthalsem Geschimpfe werden seine Ohren in der Tat langgezogen. Dann nimmt er ein Kabel und versetzt dem Jungen eine Handvoll unseliger Hiebe. Das Bild wird noch abtrünniger, als andere Kinder dazukommen und ganze Freude daran verspüren, den Jungen mit Schlägen und Tritten zu schikanieren.

Folgende Bilder zeichnen sich ähnlich ab: Ein größerer Junge läuft durch die Kinderschar und verteilt mit einem Seil willkürliche Schläge. Ein Spielzeug wird durch Schubsen, Schreien und Treten weitergereicht. Ein Dialog endet in einer Rangelei, in der der Schwächere aufs Gesicht niedergeworfen wird. Die Revanche lässt nicht lange auf sich warten. Der Gefallene nimmt einen handgroßen Stein, läuft zu seinem Widersacher und droht zuzuschlagen. Dieses Bild erstickt meine Unbeteiligtheit.

Als ich den Stein aus der Hand des Jungen nehme, berühre ich einen zitternden Arm; es ist ein todernstes Bild. Aus meinen zwei Händen forme ich ein Herz. „Amore! Amore!“ Die Kinder sammeln sich neugierig um mich. Keine Hand ist mehr zu einer Faust geballt, kein Mundwinkel aus Wut verzerrt, kein Gedanke an Gewalt verschwendet. Dieses Bild ist eine Hommage an die zwischenmenschliche Begegnung. Ein Kodakmoment, in dem die Liebe zueinander als Grundsatz des Lebens verewigt wird. Danach folgt wieder buntes Treiben.

Sobald es sich zu einer gewaltvollen Auseinandersetzung potenziert, löst mein Blick die Situation auf – „Amore!“ schallt aus mehreren Mündern. Was bleibt hinzuzufügen? Ich setze mich auf einen Stein und spiele mit den übrig gebliebenen Kindern. Sie verfolgen jede meiner Handlungen. Englische Wörter oder Klatschspiele lernen sie im Handumdrehen.

Sie assimilieren sich nach den Sitten, in denen sie leben. Werden Steine geworfen, so sieht ein Kind einen Stein nicht als Rohheit der Natur an, sondern als Ressource, seine eigenen Absichten gewaltvoll durchbringen zu können. Ein gewaltvolles Umfeld sozialisiert Kinder dazu, Gewalt anzuwenden. Eine Verlustspirale der kindlichen Unschuld.

Als die Arbeit der Mediziner getan ist, steige ich ins Auto und blicke zurück auf das Camp. Die Kinder stehen mit großen Augen auf der Straße und rufen „Good Bye!“. Der aufgewirbelte Staub verzerrt das Bild. Ich winke noch einmal und mir wird klar: Destruktivität multipliziert sich.

Das gegenwärtige Leben der Menschen ist eine Grenzsituation. Sie mussten aus ihrer Heimat fliehen, finden kaum Arbeit, gehen nicht zur Schule, leben auf engstem Raum zusammen in stetiger Unsicherheit. Das schürt Unmut, Konflikte, gar Gewalt. Doch wenn Destruktivität sich zu Gewalt multiplizieren kann, dann kann sich auch Liebe vermehren.

Wenn Menschen fliehen müssen, können sie auch wieder ein Zuhause aufbauen. Wenn eine Stadt zerbombt wird, können dort auch wieder Blumen blühen. Wenn Kinder Gewalt lernen, können sie auch wieder Liebe leben.

Das humedica-Projekt dient nicht nur der medizinischen Versorgung der aus Syrien geflohenen Menschen. Dieser Einsatz ist eine Solidaritätsbekundung, eine Präsenz der Empathie, eine „Pflicht des Herzens“. Unser Aufenthalt im Libanon bezeugt ein Da-Sein für Menschen in Not. Letztlich zielt die alltägliche Arbeit im Sinne Theodor Adorno auf einen neuen kategorischen Imperativ: „Das Handeln und Denken so auszurichten, dass Aleppo sich nicht wiederhole“.

Die Nacht ist hereingebrochen. Es ist windiger geworden. Ich freue mich auf den nächsten Arbeitstag und auf ein Wiedersehen mit den Kindern. Jemand sagte mir einmal, Dankbarkeit sei mit einem Zitat zu unterstreichen. Rückblickend und in die Zukunft hoffend bin ich sehr dankbar, dass humedica alle Ressourcen aufbringt, um möglichst viel Liebe zu verbreiten; vor allem in den Krisenregionen dieser Welt:

Die Welt hat ihre Könige, ihre Staatsmänner, ihre Präsidenten, ihre Diktatoren, was aber wirklich fehlt, das sind Prinzen, Dichter, Erfinder - Fackelträger, die ohne jedes Pathos ein helles Licht über die Kinder der Menschheit halten.“ (Bernard Tirtiaux)“

Bitte unterstützen Sie mit Ihrer Spende auch weiterhin die humedica-Hilfe für syrische Flüchtlinge, die ohne etwas entgegensetzen zu können dem Krieg in ihrer Heimat ausgesetzt waren und nur durch eine Flucht und unter Aufgabe ihres bisherigen Lebens dasselbe schützen konnten. Seien Sie ein Prinz, Dichter, Erfinder, Fackelträger – seien Sie ein Licht der Hoffnung für rund eine Million syrischer Auslandsflüchtlinge (nach Schätzungen der UN).

humedica e. V.
Stichwort „Syrische Flüchtlinge
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