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Kurz nach ihrer Rückkehr aus Haiti hatten wir die Möglichkeit ein Interview mit Ruth Bücker zu führen. Die 26-jährige hatte zwei Wochen lang das humedica-Team bei seinem Einsatz für die Menschen in dem Inselstaat begleitet. Vor wenigen Wochen war in dem Land, das erst im Januar 2010 von einem verheerenden Erdbeben getroffen wurde, eine Cholera-Epidemie ausgebrochen.

Ruth, du kommst gerade aus Haiti zurück. Wie ist die aktuelle Lage vor Ort? Was ist dein Eindruck von der Situation?

Ich war zwei Wochen in Haiti und nachdem der Karibikstaat von Verwüstungen durch „Tomas“ weitestgehend verschont wurde und die Anzahl der Cholerafälle zunächst zurückgingen, sah es für das Team und auch für mich so aus, als würde sich die Lage zumindest nicht weiter verschärfen.

Leider war es für diese vorsichtige Einschätzung wohl doch zu früh. Am Tag vor meinem Rückflug nach Deutschland stieg die Zahl der Patienten in unserer Klinik in Drouin wieder an. Und nicht nur in unserer Klinik, sondern im gesamten Norden berichteten die Hilfsorganisationen von mehr Patienten mit Cholera – bis zu 200 erkrankte Menschen sollen jeden Tag in nur einer Klinik behandelt worden sein.

Diversen Aussagen zufolge sind inzwischen auch in der Hauptstadt Port-au-Prince Menschen an Cholera erkrankt. Dies versetzt zusätzlich noch mal in Alarmbereitschaft, da insbesondere in den Slums der Stadt auf engem Raum und unter unhygienischen Bedingungen eine große Anzahl an Menschen zusammenlebt.

Was wird getan, um den Menschen in Haiti in Bezug auf die Cholera-Epidemie zu helfen?

Die medizinische Hilfe gestaltet sich an und für sich sehr simpel: gegen die Cholerabakterien im Darm bekommen sie ein Antibiotikum und dem Wasserverlust wird je nach Stärke der Dehydrierung mit Infusionen oder durch Trinken entgegengewirkt. Es muss eben jemand da sein, der die nötigen Materialien mitbringt und das Wissen hat.

Darüber hinaus bekommen die Patienten über Trinkwasser Mineralien und Salze zugeführt, die der Körper verloren hat. Und wir sprechen mit ihnen über den Verbreitungsweg von Cholera, erklären ihnen, wie sie eine Ansteckung vermeiden können und geben ihnen allgemeine Hinweise zu hygienischen Bedingungen.

Von den Vereinten Nationen und anderen Hilfsorganisationen wird darüber hinaus dafür gesorgt, dass die Bevölkerung Nahrung und sauberes Trinkwasser erhält.

Wo ist das Einsatzgebiet des humedica-Teams?

Unser Team hat sich mittlerweile auf zwei Kliniken im Norden Haitis aufgeteilt. In dem Cholera-Behandlungs-Zentrum in Drouin sorgen die humedica-Ärzte weiterhin für das Wohl der Patienten aus der Region. Unmittelbar nach den ersten bekannten Choleraerkrankten hatten wir dort mit unserer Hilfe begonnen und die Lage weitestgehend unter Kontrolle bekommen, sodass auch momentan die Zahl der Patienten vergleichsweise gering ist.

Um die Versorgung ausweiten zu können, arbeiten zwei humedica-Ärzte und eine Krankenschwester darüber hinaus in einer weiteren Klinik im Norden Haitis gegen die Cholera an. Gemeinsam mit einheimischem Personal können sie auf diese Weise täglich zahlreiche Menschenleben retten.

Inwiefern die medizinische Hilfe auf Port-au-Prince ausgeweitet werden könnte, wird noch geprüft. Falls der schlimmste Fall eintreffen und sich Cholera weitflächig in der Millionenstadt ausbreiten sollte, wird wie bereits im Januar sicherlich auch hier wieder ein Ort der Hoffnung entstehen können, der den Menschen zurück ins Leben verhilft.

Wer ist in der momentanen Lage besonders gefährdet?

Besonders gefährdet sind – wie leider immer wieder – der arme Teil der haitianischen Bevölkerung, alte Menschen und Kinder.

Ohne Zugang zu sauberem Wasser und unter schlechten hygienischen Lebensbedingungen breitet sich Cholera besonders schnell aus. Und insbesondere bereits geschwächte Körper von älteren Personen oder Kinder haben den aggressiven Darmbakterien oft nicht viel entgegenzusetzen.

Was war dein eindringlichstes Erlebnis während deiner Arbeit mit dem Team in Haiti?

Es ist schwer, das so auf den Punkt zu bringen, da jeder Tag aufs Neue für mich völlig fremde und teils verschreckende, teils aber auch sehr freudige Erlebnisse mit sich gebracht hat.

Besonders geprägt hat mich aber denke ich die Begegnung mit zwei Menschen, die dem Tod bereits näher waren als ihrem Leben. Insbesondere die Konfrontation mit einem kleinen Jungen beschäftigte mich sehr, da er sichtlich schwächer und schwächer wurde und vor unseren Augen zu sterben drohte. Und insbesondere die Ungewissheit, ob er überleben würde oder nicht, hat mich sehr beschäftigt.

Heute Morgen habe ich dann von unserer Koordinatorin Caroline erfahren, dass der kleine Junge überlebt hat. Die Rettung des kleinen Jungen ist zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber für mich besonders eindringlich, da ich an diesem Tropfen beteiligt war und miterleben durfte, wie mit einfachen Mitteln geholfen werden kann.

Was ist deine größte Hoffnung für die Menschen in Haiti?

Meine größte Hoffnung ist momentan, dass sich das Schreckensszenario der Choleraepidemie nicht bewahrheitet und die Regierung, die UN und die Hilfsorganisationen gemeinsam verhindern können, dass noch mehr Menschen an Cholera sterben müssen.

Längerfristig hoffe ich für die Menschen dort sehr, dass sie zur Ruhe kommen können. Dass sie die Kraft dafür finden, die ständig neuen Herausforderungen zu meistern, ohne dabei ihren Glauben und ihren Lebensmut zu verlieren.

Liebe Ruth, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für deine weitere Arbeit.