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Es gibt kaum etwas Schwierigeres, als die Tiefen der eigenen Identität zu erforschen. In den bisherigen Folgen unserer Reihe zum Thema bekamen wir bereits äußerst interessante Einblicke in kulturell komplexe Identitäten. Als letzter Beitrag zur Themenreihe über Third Culture Kids fragen wir den Deutschen, der eigentlich kein Deutscher ist. Wer er auch ist, Christian Freischlad ist definitiv „humedicaner“.

Christian, die erste Hälfte Deines bisherigen Lebens hast Du in Kasachstan verbracht, die zweite in Deutschland, dazwischen warst Du viel in der Welt unterwegs: Hast Du Dir schon einmal Gedanken gemacht über Deine kulturelle Identität?

Ja natürlich, auch weil die Frage nach meiner Heimat und meiner Identität die zwei häufigsten Fragen als Reaktion auf meine ungewöhnliche Lebensgeschichte sind. Einer einzelnen Kultur kann ich mich nicht wirklich zuordnen und als Third Culture Kid fühle ich mich definitiv auch nicht, das ist nicht bunt genug. Der Begriff Cross Culture Kid trifft es schon eher: ich lebe in und zwischen diversen Kulturen, die mich unterschiedlich stark geprägt haben.

Die bedeutendsten Einflüsse waren die deutsche Kultur und überhaupt die westlichen Kulturen, vor allem auch aus dem englischsprachigen Raum. Aber ich wurde auch durch die sowjetische Mentalität und meinen bewussten Widerstand gegen sie geprägt.

Hast Du Dich als Kind in Kasachstan als Kasache gefühlt oder war der deutsche Einfluss über Deine Eltern stärker?

Als Kasache habe ich mich nie gefühlt und auch als Russe nicht, obwohl das in den 90er-Jahren der deutlich stärkere Einfluss war. Mir war stets bewusst, dass ich Deutscher und ein Fremder dort bin, zumeist als sehr positive Identität. Wir haben Zuhause Deutsch gesprochen und fast jedes Jahr unsere Verwandten in Deutschland besucht, außerdem habe ich viel auf Deutsch gelesen.

Die meisten Menschen im Ausland haben eine ausgesprochen positive Einschätzung der deutschen Eigenschaften und unserer Kultur. Das habe ich unter Klassenkameraden und Lehrern, aber auch auf meinen Reisen immer wieder erlebt und das ist in meine Identität eingeflossen.

Wie hast Du den Umzug nach Deutschland erlebt und empfunden?

Ich bin nach Abschluss der Schule nach Deutschland umgezogen um meinen Zivildienst zu leisten. Das war eine super Gelegenheit, in die deutsche Kultur einzutauchen und das Leben in Deutschland kennenzulernen.

Da die meisten der 15 anderen Zivildiener und Teilnehmer eines FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) aus den entferntesten Ecken Deutschlands stammten, waren wir schon bald eine enge und vertraute Gemeinschaft. Das half auch dabei, den Verlust meiner „Heimat“ auszugleichen.

Da die meisten meiner engen Freunde auch in ihre Heimatländer umgezogen sind, hatte ich Heimweh eher nach den Freundschaften und Beziehungen. Aber auch dieser Verlust war nur etwas gravierender als „üblich“: die meisten meiner internationalen Freunde waren nur zwei bis vier Jahre in Almaty, somit war mir der Freundesverlust bereits vertraut, wenn auch nicht leicht.

Kommt Dir das klassische Phänomen bekannt vor, dass Du Dich immer dort Zuhause fühlst, wo Du gerade nicht bist? Wo ist für Dich jetzt Dein Zuhause?

Da ich auch in den vergangenen Jahren öfter umgezogen bin, kommt es oft vor, dass ich einen Ort gerade dann verlasse, wenn dieser so richtig zur Heimat geworden ist. Deshalb konzentriere ich mich jetzt an neuen Orten bewusst darauf, schnell "Zuhause“ zu sein.

Zuletzt habe ich in der wunderschönen Elbstadt Dresden studiert und das war ein wirkliches Zuhause, meine Wahlheimat. Dort bin ich mittlerweile nur noch Gast und Kaufbeuren ist für mich jetzt im Moment das Zwischenstadium zwischen neuem, fremden Lebensort und neuem Heimatort.

Du warst viel unterwegs und hast Freunde überall auf der Welt verstreut; fällt Dir bei diesen Umständen der Gedanke an ein sesshaftes Leben nicht schwer?

Ich wünsche mir wie die meisten Menschen ein Zuhause, einen Ort der Ruhe zwischen den Abenteuern, da fällt mir spontan das Lied „Irgendwas bleibt“ von Silbermond ein, das diese Thematik unserer schnelllebigen Zeit aufgreift.

Trotzdem reise ich weiterhin von Herzen gern, vor allem an ungewöhnliche Reiseziele mit faszinierender Geschichte. Konfliktgebiete wie Kurdistan reizen mich zum Beispiel sehr, das steht weit oben auf der Liste. Ich glaube schon, dass ich an einem Ort wie Dresden oder im Allgäu mit einem sozialen Umfeld, in dem ich mich wohl fühle, sesshaft werden kann. Aber ich werde wahrscheinlich immer wieder auch die Ferne, die Fremde und das Abenteuer suchen.

Denkst Du, dass Third oder Cross Culture Kids prinzipiell rastlosere Menschen sind und die Sehnsucht nach der Ferne ein Stück weit in sich verankert haben? Wie empfindest Du das bei Dir persönlich?

Rastloser sind viele von uns schon. Die Sehnsucht nach einer Heimat oder einem Zuhause gehört da aber ebenso dazu, wie die Sehnsucht nach der Ferne. Das beschreibt auch mich ganz gut.

Kasachisch, Englisch und Deutsch sind sozusagen Deine drei Muttersprachen. Das klingt nach einem großen Vorrecht - gibt es für dich auch negative Seiten dieser Multikulturalität? Hast Du beispielsweise manchmal „Heimweh“ nach einem festen Zuhause, oder Fernweh, dass Du Dich nach der Ferne sehnst?

Stimmt nicht ganz - Kasachisch konnte ich nur im Kindergarten fließend und jetzt könnte ich mich nicht mal über das Wetter unterhalten. Im Russischen kann ich dagegen mit etwas Übung auch als Muttersprachler durchgehen. Und ja, es gibt bei fast allem im Leben Vor- und Nachteile.

Man muss lernen, dankbar für das Positive zu sein und sich nicht auf das Negative zu konzentrieren. Ich habe durch meine Kindheit Stärken und Schwächen und will ein Leben führen, mit dem ich mit meinen Stärken und Schwächen glücklich bin.

Es ist zum Beispiel nicht einfach, dass enge Freundschaften immer wieder räumlich getrennt werden. Aber ich habe auch das Vorrecht, auf vielen Reisen alte Freunde zu besuchen und freue mich über jede dieser Gelegenheiten!

Das humedica-Team hofft jedenfalls, Dich noch lange hier als „humedicaner“ in Kaufbeuren zu haben… Danke für Deine Offenheit und die Zeit, die Du Dir für unsere Fragen genommen hast!

Danke für Euer Interesse.

Mit diesen Worten verabschieden wir diese Themenreihe und auch das Jahr 2012. Das humedica-Team wünscht Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest im Kreise Ihrer Lieben und einen guten Rutsch in das neue Jahr 2013!