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Für Beobachter scheint die Taifunkatastrophe auf den philippinischen Inseln Leyte und Samar bereits lange vorbei. Die Erde hat sich weiter gedreht, neue Schlagzeilen erregen das öffentliche Interesse und andere humanitäre Missstände drängen sich in den Vordergrund. Das Leben geht weiter, doch für die betroffenen Menschen auf den Philippinen ist nichts mehr wie zuvor.

Blicken Sie mit uns auf die vergangene Zeit nach der Katastrophe zurück. Erfahren Sie, wie humedica-Einsatzkräfte ihre Zeit in der besonders betroffenen Stadt Tacloban erlebt haben, wie sich die Lebensumstände der Menschen dort heute gestalten und welche Hilfsmaßnahmen humedica in den nächsten einhundert Tagen plant.

Im letzten Teil der Rückschau gewährt uns Koordinatorin Margret Müller spannende Einblicke in die ersten Tage nach der Katastrophe. Mit fünf weiteren humedica-Einsatzkräften erreichte die 30-Jährige das betroffene Gebiet bereits kurze Zeit nach dem Supertaifun. Einhundert Tage nach „Haiyan“ blickt sie im Interview auf ihren Hilfseinsatz zurück und erklärt warum ihr Herz unter Flugangst leidet.

Liebe Margret, warum hast Du dich entschlossen als Teil des humedica-Ersteinsatzteams auf die Philippinen zu fliegen?

Von dem Sturm las ich schon einige Tage bevor er auf die Philippinen traf. Er wurde oft in Superlativen angekündigt, die sich mitunter auch bewahrheiteten. Als humedica mich dann fragte, ob ich in ein paar Stunden fliegen könne, klärte ich ab, ob ich alle Termine der nächsten zwei Wochen verschieben kann. Danach sagte ich sofort zu. Die grundsätzliche Entscheidung für Katastropheneinsätze habe ich schon vor einiger Zeit getroffen.

Nach wenigen Stunden Planungszeit bist Du mit fünf weiteren Einsatzkräften in den Flieger gen Philippinen gestiegen. Wie habt Ihr euch auf dem Weg dorthin auf das Kommende vorbereitet?

Mit dem angestrengten – meinerseits relativ erfolglosen – Versuch im Flugzeug zu schlafen. Der Weg auf die Philippinen dauerte etwa vierzig Stunden und es war ziemlich klar, dass Schlaf bald ein seltenes Gut sein wird. Außerdem lernten wir Einsatzkräfte uns langsam kennen, was im Flieger immer etwas eigenartig ist.

Viele Informationen zur Situation in der betroffenen Stadt Tacloban gab es noch nicht, auch weil das Gebiet aufgrund der Zerstörungen physisch wie telefonisch nur schwer erreichbar war.

Trotz der langen Anreise wart ihr das erste internationale medizinische Einsatzteam in Tacloban. Wie habt ihr es trotz der zerstörten Infrastruktur geschafft, so schnell dorthin zu kommen?

Wir sind ja bereits kurz nach Bekanntwerden der Katastrophe am Freitag in Deutschland losgeflogen. Am Sonntag haben wir dann bei den zuständigen Behörden in Manila zwölf Stunden lang so eindringlich darum gekämpft auf einen der zwei täglichen Militärflieger nach Tacloban zu kommen, dass sie uns vermutlich einfach aus ihrem Ministerium heraus haben wollten. Sie wussten wohl, dass wir erst in Tacloban Ruhe geben würden.

Wir versuchten also alles um auf einen Nachtflug zu kommen, um direkt am Montagmorgen die ersten Menschen behandeln zu können. Nachts um zwei wurde entschieden, dass wir mitfliegen dürfen und wir fuhren direkt vom Ministerium zum Militärflughafen. Wir erreichten Tacloban also genau drei Tage nach dem Taifun.

Was waren deine ersten Eindrücke bei der Ankunft in der Katastrophenregion und wie habt ihr euch anfangs organisiert?

Die Atmosphäre war apokalyptisch. Schon im Flugzeug. Alle Passagiere standen um die Gepäck- und Hilfsgüterberge im Frachtraum der Maschine herum. Neben mir waren Frauen, die mit Wasser und Medikamenten bepackt ihre Verwandten suchen wollten. Sie hatten seit Tagen kein Lebenszeichen von ihnen erhalten. „Wir müssen jetzt stark sein“ hörten wir mehrmals.

Aus dem Flugzeug konnten wir schon etwas von der Zerstörung erkennen und sich langsam bewegende Menschenströme zwischen der Ruinenstadt und dem Flughafen wurden sichtbar. Das Flughafengebäude selbst war nur noch ein Skelett. Es stank unglaublich nach Verwesung. Obwohl viele Menschen auf dem Gelände warteten, war es gespenstisch ruhig. Es gab noch keine Luftbrücke, keine Anläufe humanitärer Hilfsmaßnahmen.

Uns war klar, dass es weder Autos, noch Benzin, Wasser, Strom oder sonst etwas in Tacloban gab. Wo sollten wir also anfangen? Und wie? Direkt kam ein Captain der philippinischen Armee auf uns zu: „The Germans! I have been waiting for you!“ Mit einem Helikopter flog er uns direkt ins Stadtzentrum, wo wir umgehend mit unserer Arbeit beginnen konnten.

Zu diesem Zeitpunkt war diese zehn Minuten Strecke in der Luft noch ein Tagesmarsch am Boden. Der Captain erwies sich als unglaublich wertvoller Mensch für uns, der unmöglich scheinende Dinge eben mal ermöglichte.

Am Nachmittag fand uns eine Frau, die unbedingt einer Hilfsorganisation Unterkunft gewähren wollte und uns einlud in ihrem noch intakten Haus zu übernachten. Sie war der Engel unserer Zeit in Tacloban – ihr Haus, die Oase für den nächsten Tag. Am zweiten Tag machten wir uns auf den Weg in ein Auffanglanger, in dem hunderte Menschen starben.

Auf den Weg dorthin sahen wir die Ausmaße der Zerstörung und des Leids. Leichen- und Schuttberge, Menschen, die völlig apathisch am Wegrand saßen, Kinder, die sich im Müll wuschen. Die komplette Zerstörung war Allgegenwärtig. Nichts war heile. Nichts. Es war eine sehr eigene Situation, aber unser Team war toll. Das macht viel aus.

Hat sich während dieser Zeit trotz der katastrophalen Umstände so etwas wie Routine eingestellt?

Ja, unsere drei täglichen Mahlzeiten bestanden aus Keksen. Nein im Ernst, prinzipiell gab es schon gewisse Routinen: Wir standen spätestens um sechs Uhr auf; die Mediziner arbeiteten entweder im „Mother of Mercy“-Krankenhaus oder an Orten, die noch keine medizinische Versorgung erhalten hatten; wir Koordinatoren organisierten an den Einsatzorten oder unterwegs tausende große und kleine Dinge und verwünschten die Telefone für ihr schlechtes Netz und kurz vor Einbruch der Dunkelheit kehrten wir alle wieder zu unserer Unterkunft zurück.

Am Abend gab es dann immer noch einiges zu besprechen und zu organisieren und später saßen wir oft zusammen und nahmen uns Zeit das Erlebte einzuordnen.

Im Speziellen änderten sich die Aktivitäten der einzelnen Tage jedoch ständig. Vieles war noch so unklar und wir verbrachten viel Zeit mit elementaren Dingen, wie dem Organisieren von Wasser, Essen, Strom oder Benzin. Zusätzlich stellte sich natürlich immer wieder von neuem die Frage, wo und wie wir von humedica am sinnvollsten helfen können.

Was ist es für ein Gefühl, nach einem Einsatz wie diesem wieder nach Hause zu kommen? Wird man von dem Erlebten verfolgt?

Ich glaube, mein Herz hat Flugangst. Es nimmt manchmal den Landweg, weshalb ich oft eine Weile warten muss, bis ich mich komplett an einem Ort angekommen fühle. Zuhause dauerte es also, bis ich mich wieder an westlichen Maßstäben orientierte und ohne schlechtes Gewissen viel essen oder die Normalitäten unseres Alltags vergleichsfrei betrachten wollte.

Solang es nicht zur Selbstgeißelung wird, finde ich diese Änderung der Perspektive aber gar nicht so schlecht. Neben dem Perspektivenwechsel hab ich auch den Geruch mit nach Hause genommen und mich oft gefragt, wie es bestimmt Menschen wohl jetzt geht – vor allem an Weihnachten.

Würdest Du rückblickend wieder die Entscheidung für den Einsatz treffen?

Natürlich, sofort.

Vielen Dank für diese spannenden Einblicke. Wir wünschen Dir alles Gute für deinen weiteren Weg und freuen uns auf deinen nächsten Einsatz mit humedica.

Liebe Freunde und Förderer, die ersten einhundert Tage nach der Taifunkatastrophe sind vorüber – die Hilfsmaßnahmen von humedica sind es noch lange nicht. Nach der akuten medizinischen Versorgung der Verletzten, konzentriert sich humedica nun auf die langfristige Unterstützung der Betroffenen.

Werden auch Sie Teil dieser Hilfe und ">übernehmen Sie eine Familienpatenschaft auf den Philippinen. Auch eine konkrete Spende findet den direkten Weg zu den Menschen, die sie besonders benötigen. Vielen Dank!

humedica e. V.
Stichwort "Taifun Philippinen"
Konto 47 47
BLZ 734 500 00
Sparkasse Kaufbeuren