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Wie viel Leid kann ein Mensch tragen? Wie viel Verlust? Wann frisst Angst die Seele auf? Wann wird Not existenziell? Und was, wenn sich einfach keine Tür öffnen will, jegliche Perspektive fehlt? Wir leben in einer Zeit internationaler Flüchtlingskrisen. Für 2015 konstatierten die Experten der UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, die traurige Zahl von 59,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Die höchste Zahl seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Und so stehen aktuelle Brennpunkte wie die griechischen Orte Lesbos oder Idomeni, das serbische Presevo, im Grunde die komplette Balkanroute stellvertretend für viele Camps auf unserer Erde, offiziell wie inoffiziell, wo vertriebene, geflüchtete Menschen Zuflucht suchen und zumeist ein Leben unter widrigsten Bedingungen ertragen müssen.

In aller Regel spielen sich diese Katastrophen nicht in den internationalen Nachrichtensendungen ab, im Gegensatz zur Situation im 300 Einwohner starken griechisch-mazedonischen Grenzdörfchen Idomeni. Noch berichten Journalisten von diesem einst idyllischen Ort, noch gibt es Appelle, laute Rufe nach mehr Menschlichkeit, nach Freundlichkeit und Nächstenliebe. Die 29-jährige Romana Domin ist als Koordinatorin für humedica seit mehreren Monaten auf der Balkanroute unterwegs, auch in Idomeni. Wir haben mit ihr gesprochen.

Liebe Romana, wie hat sich die Situation für die Flüchtlinge auf der Balkanroute in den vergangenen Monaten entwickelt?

Man kann schon von einer bemerkenswerten Entwicklung sprechen, insbesondere nach den Grenzschließungen. Aus Camps, die einst für durchreisende Flüchtlinge eingerichtet waren, wurden feste Lager mit allen, im Falle von Idomeni dramatischen Konsequenzen. Die hygienischen Bedingungen, die Versorgungslage, die medizinische Betreuung für diese unfassbar große Zahl an Menschen ist extrem schlecht, schon lange nicht mehr zumutbar.

Ich habe mittlerweile schon einige Lager auf der Route sehen können und Idomeni hat eine traurige Sonderrolle, was die äußeren Umstände betrifft. Die psychische Belastung ist an allen Orten auf dieser Route gleich hoch, die Ängste sind überall greifbar, aber im Falle von Idomeni muss man von Überleben im Dreck reden. Insgesamt hat sich die Situation der Flüchtenden sich in den vergangenen Monaten sicher nicht verbessert.

Vor einigen Wochen war von einer deutlichen Zuspitzung der Situation die Rede; wie nimmst Du die aktuellen Entwicklungen wahr?

Mit großer Sorge, weil man tatsächlich von wachsender Not und Ungeduld reden muss. Die trifft allerdings nicht Organisationen oder Helfer wie uns, sondern äußert sich in Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften oder auch untereinander, weil die Menschen schon unter extremen Bedingungen sehr dicht beieinander leben müssen. Es ist deutlich sichtbar, dass die Menschen nach ihrer langen, harten Flucht, hier nun zur Ruhe gezwungen sind und ihre tatsächlich oft ausweglose Situation reflektieren, mit dem beschriebenen Ergebnis.

Nach der Einigung der Europäischen Union mit der Türkei ist die Rückführung von Flüchtlingen von Griechenland in die Türkei angelaufen. Wie groß sind Frust und Enttäuschung bei den Flüchtlingen über diesen Schritt?

Enttäuschung und Frust treffen es nicht, es ist vielmehr die nackte Angst, vor allem bei Menschen mit kurdischen Wurzeln. Viele sagen, dass die Rückführung ein Todesurteil ist und sie lieber bei dem Versuch sterben, diesem Weg zu entgehen als in einem türkischen Lager. Nach unseren Informationen ist die Situation in den Camps auf den griechischen Inseln in diesem Kontext noch sehr viel dramatischer.

Die Situation von, nicht selten allein reisenden Frauen und Kindern ist besonders schwierig.

Ja, definitiv und es ist wichtig, dass die Situation der Frauen thematisiert wird. Sie kümmern sich um ihre Familie, versuchen mit dem Wenigen, was sie haben, zu kochen, sammeln Feuerholz, versorgen die Kinder, versuchen, stark zu sein, Halt zu geben. Reisen sie alleine mit ihren Kindern, sind die Herausforderungen noch sehr viel größer.

Sie müssen hart kämpfen, um in den langen Schlangen bei der Essensausgabe respektiert zu werden und etwas zu bekommen, können zeitgleich nicht auf ihre Kinder aufpassen. Oft werden sie bestohlen. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die Situation von Frauen auf der Flucht sehr schlecht ist und oft über die Grenzen hinausgeht. Auch die Kinder leiden massiv, weil es keine Betreuung gibt, bei gleichzeitig immenser körperlicher und seelischer Belastung.

Du lebst momentan ein Leben, in dem Du immer wieder mit großem Leid konfrontiert werden. Wie gehst Du mit den Belastungen Deines Jobs um?

Ich habe mich bewusst dafür entschieden, Menschen zu helfen und es ist richtig, dass ich in diesem Job mit sehr viel Leid direkt konfrontiert bin, oft auch über einen längeren Zeitraum. Aber man darf nicht vergessen, dass wir als Helfer auch sehr viel zurückbekommen von den Menschen, denen wir zur Seite stehen dürfen.

Ob in Presevo oder in Idomeni, die Flüchtlinge sind sehr freundlich, bedanken sich auf eine sehr herzliche, sehr warme Art und Weise. Natürlich überwiegt für die Betroffenen und auch für uns das Schwere, das Traurige, das große Leid, das für uns täglich Gesichter hat, aber in all diesen schlimmen Umständen, trotz der beschriebenen Auseinandersetzungen, trotz der Belastung gibt es auch Wärme und Menschlichkeit.

In Deutschland sind die Flüchtlingszahlen seit Jahresbeginn stark rückläufig. Was ist Deine Prognose für die weitere Entwicklung?

Nach den oft dramatisch schnellen Entwicklungen in den vergangenen Monaten vermag ich keine Prognose abzugeben. Bei allen herrscht eine große Unsicherheit und keiner weiß so recht, wie es weitergeht, weil es eben auch kaum offizielle Aussagen gibt. Wir Helfer geben unser Bestes, es braucht aber auch politische Lösungen im Sinne der Menschen.

Liebe Romana, vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Dir viel Kraft, Gottes Segen und Schutz für Deine Arbeit.