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Liebe Freunde und Förderer, liebe Kollegen, liebe Spender,

mit der Hilfsorganisation humedica bin ich am 5. Februar 2008 zu einem Katastropheneinsatz in das Rift-Valley nach Kenia geflogen, um in den Flüchtlingslagern der infolge des grausamen ethnischen Konfliktes aus ihren Dörfern geflohenen Menschen medizinische Hilfe zu leisten. Über die Auseinandersetzung nach den letzten Wahlen in Kenia zwischen dem Präsidenten Kabiki und dem Oppositionsführer Odinga ist in deutschen Medien ausführlich berichtet worden.

Bei der Ankunft in der Hauptstadt Nairobi treffe ich zunächst auf dem Flughafen eine deutsche Reisegruppe, die sich mit großer Vorfreude auf die Besteigung des Kilimandscharo vorbereitet. Ein Katastrophengeschehen scheint in weiter Ferne.

Bereits auf der Fahrt zu unserem Zwischenquartier in Nairobi wird man durch vereinzelte in den vergangenen Tagen ausgebrannte Häuser aufgeschreckt, und als ich im von einer hohen Mauer umgebenen Gästehaus der IAS (International Aid Services) sehr gut beschützt intensives Gewehrfeuer höre, ist mir bewusst, dass sich hier eine nationale Katastrophe abspielt.

Das Zentrum der Unruhen ist das fruchtbare Rift-Valley mit der Provinzhauptstadt Nakuru, wohin ich am nächsten Tag mit einem Bus gebracht werde; vorbei an einer überwältigend schönen Landschaft mit dem Blick auf dieses einzigartig schöne Tal mit seinen vielen Tieren. Gazellen, Zebras, Warzenschweine, Büffel, Paviane, Maribus und andere uns nicht vertraute Vogelarten sieht man bereits von der Strasse aus.

Wir (Arzt, Rettungssanitäter, Koordinator) sind in Nakuru bei einem dänischen Ehepaar in einem gut geschützten Haus für uns ungewöhnlich komfortabel untergebracht und haben fast ein schlechtes Gewissen ob der guten Versorgung in diesem uns umgebenden Elend.

In der knapp 32 Kilometer entfernten Kleinstadt Molo beginnen wir unsere Arbeit in einem kleinen Flüchtlingslager, dessen Zentrum eine Kirche ist, in der wir unsere Ambulanz aufbauen. Auf Grund der äußerst gefährlichen Lage wird uns die Einrichtung einer Mobilen Klinik verwehrt. Wir befinden uns genau im Grenzgebiet zweier Stämme, in dem die kriegführenden Gruppen massive Kämpfe vorausgesagt haben.

Unser kleines Team ist nicht in der Lage, alle Patienten versorgen zu können, wobei noch keine schweren Folgekrankheiten der Flucht behandelt werden müssen. Wie erwartet behandeln wir insbesondere Durchfallerkrankungen, parasitäre Krankheiten, Gelenkbeschwerden und Atemwegsinfektionen.

Obgleich hier momentan die wärmste Jahreszeit ist, kann es besonders nachts infolge der Höhenlage (fast 2000 Meter über dem Meeresspiegel) empfindlich kalt werden, und die Menschen müssen auf der Erde schlafen ohne ein Dach über dem Kopf. Hinzu kommt der Hunger, die Erschöpfung und die unbeschreiblichen traumatischen Erlebnisse der Flucht. Ich stelle fest, dass wir den Menschen nur durch unser Dasein bereits Hoffnung geben, ohne dass wir die erlittenen schweren psychischen Traumata auffangen können. Die in Nakuru sich uns bietenden Bilder der tödlich verletzten Opfer sind von unbeschreiblicher Grausamkeit. Menschen mit schwersten, durch Macheten verursachten Verletzungen, insbesondere an den Armen, am Oberkorper sowie durchschnittener Kehle oder mit durch Speere durchbohrtem Leib zeugen von der Intensität der Auseinandersetzungen.

Unser neuer Einsatzort ist eine Arena in Nakuru, in der bisher in einem riesigen Markt Tiere versteigert wurden und daher den Namen Showground trägt. Das Elend der Flüchtlinge in diesem Bereich ist ungemein grösser. Eine Vielzahl von Flüchtlingen sind hier auf engstem Raum zusammen gefercht. Die hygienischen Verhältnisse sind logischerweise desolat, die Versorgung äusserst mangelhaft. Bisher haben die Menschen in diesem Lager noch keine medizinische Betreuung erfahren.

Wir wollen versuchen, schwerere Krankheiten zu verhindern oder besser gesagt zu lindern und den Ausbruch von Seuchen zu bekämpfen.

Ich werde noch einmal von dem Einsatzort berichten in der Hoffnung, dass bis dahin die Situation deeskaliert ist, und wir mit Gottes Hilfe diesen wunderbaren Menschen, denen wir begegnet sind und noch begegnen werden, ein wenig beistehen können.

Dr. Ulrich Seemann

Nakuru, den 10. Februar 2008