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Sie koordiniert die Begleitung unserer Einsatzteams durch einige Medienvertreter, organisiert Interviews, entlastet die anderen Betreuer und schreibt selbst unter anderem dieses "Tagebuch aus Haiti", Judith Kühl aus einer zerstörten Stadt, zwischen Hoffen und Bangen.

26. Januar 2010, 13.10 Uhr Ortszeit

In die Straßen von Port-au-Prince kehrt langsam das Leben zurück. Der typische Alltag ist sicherlich noch fern, doch langsam scheinen die Tage von absolutem Chaos, die wir unmittelbar nach der Katastrophe erlebten, gezählt.

Die Schilder an Häuserwänden hängen weiterhin: „We need help! We need food here!“. Lange Warteschlangen von Menschen bilden sich überall, wo Hilfsorganisationen Wasser und Lebensmittel verteilen oder medizinische Hilfe anbieten.

Die Nachfrage nach ärztlicher Versorgung nimmt auch in unseren Krankenhäusern nicht ab. Immer noch sind viele Menschen mit ihrem verbliebenenHab und Gut auf den Schultern unterwegs; sie scheinen auf der Suche nach einem neuen Anfang.

Ich fühle mich an den haitianischen Botschafter, Seine Exzellenz Jean-Robert Saget, erinnert, der irgendwann in den Tagen nach der Katastrophe sagte: "Für Haiti gibt es eine Zeitrechnung vor dem 12. Januar 2010 und eine danach!"

Noch erinnern dieser schreckliche Verwesungsgeruch und die vielen Trümmer erinnern unvermeidlich Tag für Tag an die Katastrophe. Viele Überlebende kämpfen weiterhin mit körperlichen Verletzungen, beinahe jeder Bewohner trauert um Angehörige.

Die Hilfe aus dem Ausland hat Haiti erreicht, doch längst noch nicht alle Opfer. Die internationale Hilfe muss auch in Zukunft anhalten. Die Folgen der Beben kann das Land unmöglich alleine tragen.

Ein wenig Normalität macht sich trotzdem auf den Straßen bemerkbar. Heute habe ich zum ersten Mal von der Stadt eingesetzte Reinigungskräfte gesehen, die Straßen kehren und Müll abtransportieren. Zahlreiche Obst- und Gemüsehändler sitzen an Bürgersteigen zwischen Müll, Verkehr und Trümmern.

Das Geschäft geht weiter. Die Banken öffnen wieder, Supermärkte bis jetzt nur vereinzelt mit Polizeischutz. Handy- und Telefonnetze sind weiterhin überlastet, stehen zeitweise aber wieder zur Verfügung.

Ein junger Mann erzählt mir, er hätte alles verloren durch das Beben. Sein Haus, seinen Arbeitsplatz und viele Familienangehörige. Seit Tagen irrt er mit seinem beinahe leeren Rucksack durch Port-au-Prince.

„Ich brauche einen neuen Job“, sagt er. Leid und Kummer sind so groß, Hilfe wird weiterhin dringend benötigt. Wer die Beben überlebt hat, der sucht einen neuen Anfang.