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Simone Winneg ist als Koordinatorin verantwortlich für die organisatorischen Geschicke des Einsatzteams auf Haiti. Am Ende des Tages schreibt sie ihre Erlebnisse in eine Art Tagebuch, an dem Simone Winneg uns gerne teilhaben lässt. Heute ihr interessanter zweiter Eintrag.

Dienstag, 29. April 2008, 18:40 Uhr

Heute waren wir den ersten Tag mit unserer mobilen Klinik in der Umgebung von St. Marc unterwegs. Die eineinhalbstündige Fahrt über Land führte uns nicht nur durch ödes Weideland, sondern auch durch fruchtbares Ackerland: Reis, Mais, Papayas, Mangos und Palmen soweit das Auge reicht. Die Region hier ist an sich eine fruchtbare Gegend. Nahrungssicherheit gibt es allerdings auch hier nicht: Jedes Jahr wird das Land durch den nahen Fluss überschwemmt, die Saat und das Hab und Gut der Familien wird weggetragen.

Wieder fühlen wir uns wie auf dem falschen Kontinent: Lehmhütten, gebaut aus Stroh und Matsch, schiefe Türen und einfallende Dächer sind hier die üblichen Konstruktionen der ärmlichen Dörfer. Kleine Kinder sitzen nackt im Dreck und spielen. Oder sie "schwimmen" im dreckigen Wasser des halb fertig gestellten Kanals, der das Land durchzieht. Auf der gesamten Strecke sehen wir nur eine einzige medizinische Versorgungsstation. Etwa nach einem Drittel der Strecke steht das kleine "Centre de Santé" der Region.

Als eine Filiale des Hospitals St. Nicolas in St. Marc soll es vor allem der ländlichen Bevölkerung medizinische Versorgung ermöglichen, jedoch können sich die Bewohner von den weiter entlegenen Dörfer die Fahrt hierher nicht leisten und es würde einen Fußmarsch von mehreren Stunden dauern, dieses Zentrum zu erreichen. Das Dorf, das wir ansteuern ist das letzte im Distrikt und deswegen am weitesten von St. Marc entfernt. Hier gibt es weder eine Schule, noch eine Apotheke, geschweige denn eine Art Klinik. Die Kirche wurde kurzerhand umfuntioniert zum Klassenraum, andere Schüler sitzen unter Bäumen oder in der prallen Sonne und haben Unterricht. Zwar wurde das Fundament für vier Klassenräume gelegt, doch dann ging das Geld zur Neige und die Drahtgestelle stehen willkürlich in der Dorflandschaft.

In zwei Räumen können unsere Mediziner ihre Arbeit beginnen, die heute vor allem durch Hautkrankheiten und Magenbeschwerden geprägt ist. Besonders die Kleinen haben infizierte Wunden und Hautpilze, die noch nie behandelt wurden. Durch die tägliche Berührung mit dem schmutzigen Wasser aus dem Fluss, Dreck und Schlamm infizieren sich aufgekratzte Wunden schnell. Pilze bedecken bei vielen Patienten den ganzen Oberkopf, verkrustet und infiziert.

Viele Kinder haben hier hell verfärbte Haare, was Mangelernährung und Vitaminmangel dokumentiert. Wegen des großen Andrangs, konnten heute nicht alle Patienten behandelt werden. Manche kommen auch einfach prophylaktisch, da sie schon seit Monaten keinen Doktor mehr gesehen haben und die Chance nutzen wollen, um langwierige Gesundheitsprobleme behandeln zu lassen. Aus diesem Grund werden wir morgen noch einmal die gleiche Direktion ansteuern, um auch denjenigen zu helfen, die heute keine Chance auf eine Behandlung hatten.

Zu Regenzeiten wird der Zugang dieser Bevölkerung zu medizinischer Versorgung noch schwieriger: schon nach einer Nacht Regen sind viele Straßen nicht mehr passierbar, der Fluss droht in der Regenzeit wieder über die Ufer zu treten und das bewirtschaftete Land wegzutragen. Ein permanentes Problem, dem die Bevölkerung nicht alleine begegnen kann.