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Am 12. November 2017 erschütterte ein schweres Erdbeben den Nordwesten des Irans. An der irakischen Grenze war insbesondere die Stadt Sarpol-e Zahab und deren Umland stark betroffen. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleich gemacht, es gab circa 400 Tote und 7.000 Verletzte.

humedica schickte zunächst zwei medizinische Teams zur Soforthilfe. Um die Menschen nach der Akutphase nicht alleine zu lassen, konnte die Hilfsorganisation anschließend dank der eingegangenen Spendengelder Wiederaufbaumaßnahmen für bedürftige Familien organisieren und gut isolierte, erdbebensichere Wohnhäuser bauen. Denn Zelte und Container wurden zwar vom Staat und der Roten-Halbmond-Bewegung bereitgestellt, konnten jedoch keine langfristige Lösung sein.

Gemeinsam mit dem iranischen Projektkoordinator Javad Sheikholeslami und seiner deutschen Ehefrau Monika werden seither fünf besonders bedürftige Familien beim Wiederaufbau ihrer Wohnhäuser unterstützt. Dabei ist Javad seit Dezember 2017 dauerhaft vor Ort, um die Baumaßnahmen zu koordinieren.

Reise ins Erdbebengebiet

Die bei humedica verantwortliche Projekt-Sachbearbeiterin Johanna Bischoff hatte nun Gelegenheit, das Projekt zu besuchen, die unterstützten Familien kennen zu lernen und sich vom Fortschritt und der Qualität der Arbeit selbst ein Bild zu machen.

sondern auch in ihrem detailreichen Reisebericht:

Mitten in der Nacht lande ich in Teheran. Noch immer sind es über 30°C und die Hitzewelle in Deutschland erscheint mir wie ein Witz im Gegensatz zu den Temperaturen hier. Noch in der Nacht geht die Fahrt weiter in die Kleinstadt Saveh, am nächsten Morgen dann werde ich von unserem iranisch-deutschen Kontakt Cyrus Ghiasi und dessen Schwager Nosrat ins Erdbebengebiet begleitet.

Wir fahren durch wunderschöne Landschaften, verschiedene Fels- und Hügelformationen wechseln sich ab. Unterwegs sehe ich viele Menschen in der Hitze ihrem Alltag nachgehen – Bauern auf ihren Feldern, Verkäufer am Straßenrand, Fußgänger wo weit und breit kein Haus zu sehen ist. Von Schatten und Sonnenschutz können sie nur träumen. Für mich, die ich schon im klimatisierten Auto schwitze, sind sie allesamt Helden des Alltags in einem heißen Land.

Als wir am frühen Abend die Stadt Sarpol-e Zahab erreichen, sehe ich noch immer überall die Spuren des Erdbebens. Die Kleinstadt in der Grenzregion zum Irak scheint auch fast ein Jahr nach dem Erdbeben vorwiegend aus Zelten, Containern und Baustellen zu bestehen. Die genutzten Häuser scheinen eher ein Wunder als selbstverständlich zu sein. Ich erfahre, dass die Region schon immer zu den ärmsten und vernachlässigten des Landes gehörte. Immer wieder waren die Menschen hier Krisen ausgesetzt: Im Iran-Irak-Krieg wurden auf Sarpol-e Zahab irakische, nicht mehr benötigte Bomben rückkehrender Flugzeuge abgeworfen.

Wenige Kilometer hinter Sarpol-e Sahab liegt das Dorf Baz Gir, in dem drei von fünf humedica-Häusern gebaut werden. Hier treffen wir auf Projektkoordinator Javad. Im ganzen Dorf scheint nur ein Haus das Beben unversehrt überstanden zu haben. Ansonsten sieht das Dorf eher aus wie eine einzige Baustelle. Die Familien leben in Zelten und kleinen Containern neben ihren Baustellen und arbeiten hart, um hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft in ihr neues Haus einziehen zu können. Unvorstellbar, wie das Dorf vor dem Erdbeben ausgesehen haben mag.

Fünf Häuser, fünf Familien, fünf Schicksale

Noch am Abend unserer Ankunft darf ich alle fünf Baustellen besichtigen und die neuen Eigentümer kennen lernen. Die Menschen strahlen große Freude aus und empfinden eine tiefe Dankbarkeit – Javad, humedica und den Spendern in Deutschland gegenüber. Jede der mit Sorgfalt ausgewählten fünf Familien hat ihr eigenes Schicksal zu beklagen. Niemals hätten sie über die Mittel verfügt, das Darlehen der Regierung zurück zu bezahlen.

In Baz Gir treffe ich Vaisi. Sie ist Witwe und lebt hier zusammen mit einem Sohn und dessen Familie, ihrer Tochter und der 14-jährigen Enkelin Hanieh. Ihr Ehemann sowie eine Tochter, die Mutter von Hanieh, wurden vor 13 Jahren vom Schwiegersohn ermordet. Seither leben sie praktisch von der Hand in den Mund. Das neue Haus erscheint ihnen wie ein Schloss, jenseits von dem, was sie sich selbst hätten leisten können.

Auch Familie Moradi, die ein paar Häuser weiter ihr Zuhause wieder aufbaut, hat es nicht leicht. Der Vater ist bereits 70 Jahre alt, der älteste Sohn ist krebskrank, zwei weitere Söhne sind Saisonarbeiter. Was sie verdienen reicht kaum für die nötigste Versorgung der Familie.

Der Dorfvorsteher Almas, der für seine Frau, die drei Kinder und sich ebenfalls ein Haus erhält, kann die Familie mit zwei Kühen und ein paar Hühnern über Wasser halten.

Zwei weitere Familien unterstützen wir beim Wiederaufbau ihrer Häuser in den Dörfern Kuik Majid und Tini Havas Ahmadi. Hier lebt der Taxifahrer Karimi zusammen mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern. Bei dem Erdbeben hat er sich zwei Rückenwirbel gebrochen, sodass er arbeitsunfähig ist und häufig zum Arzt ins drei Stunden entfernte Kermanshah muss.

Auch die Familie von Lohnschäfer Bagmorad führt ein entbehrungsreiches Leben.

Bei allen fünf Familien merke ich sofort, dass die Hilfe hier am richtigen Ort ankommt. Die tiefe Dankbarkeit in ihren Gesichtern und Worten machen schlagartig bewusst, wieviel ihnen unsere Hilfe bedeutet. In ihrer Not wahrgenommen zu werden, nicht allein gelassen zu werden mit ihrem Schicksal, lässt sie vor Freude und Hoffnung strahlen – und für einen Moment die vielen Sorgen ihres Alltags vergessen.

Dennoch bleibt am Ende des Besuchs bei mir das Gefühl zurück, dass ich die Beschenkte bin. Überall wurde ich auf eine Tasse Tee eingeladen, Frauen brachten selbst gebackenes Brot vorbei, Männer selbst gemachte Milchprodukte. Die versuchten Gespräche mit den Frauen von nebenan endeten zwar stets in großer Heiterkeit, weil ich so wenig von dem verstehe was sie mir erzählen und was sich mich fragen wollen, doch die gemeinsame Zeit verbindet uns. Die Menschen hier haben so gut wie nichts und doch fühle ich mich reich beschenkt von ihrer Herzlichkeit. Ein Schatz von dem ich noch lange zehren werde.

Ich bin dankbar dafür, dass Javads unermüdlicher Einsatz für die Betroffenen des Erdbebens dieses Projekt ermöglicht hat. Früh morgens steht er auf, um die Arbeiter und Freiwilligen, die noch immer aus dem ganzen Land ins Erdbebengebiet kommen, zu den Baustellen zu fahren. Den ganzen Tag ist er unerlässlich unterwegs, um fehlende Materialien und Werkzeuge zu beschaffen, den Arbeitern Essen zu bringen, weiteren Familien mit Rat und Tat beiseite zu stehen oder sich für die notwendigen Zulassungen einzusetzen.

Streng überwacht er die Qualität eines jeden Arbeitsschritts. Die Häuser werden nach der Methode des Insulated Concrete Formwork (ICF) gebaut, um für eine gute Isolierung und bestmöglichen Schutz bei Erdbeben zu sorgen. Da Javad 16 Jahre lang in Deutschland gelebt hat, legt er dabei hohen Wert auf deutsche Qualitätsarbeit. „Die Leute sollen sehen, dass wir keine schiefen Häuser bauen, sondern alles millimetergenau gemacht wird“, erklärt er mir. Allen sei deutsche Qualität ein Begriff, daher habe er an jeder Baustelle das Logo von humedica zusammen mit einer deutschen Flagge angebracht.

Zuhause im weit entfernten Saveh bei Teheran hat er für diese Arbeit seine Familie und seine Farm zurückgelassen. Das Schicksal der Menschen im Erdbebengebiet liegt ihm zu sehr am Herzen, um einfach seinem gewohnten Alltag zuhause nachzugehen. Und so setzt er sich nun schon seit Monaten unermüdlich für die Menschen hier ein.

Die Frage nach der Zukunft

Die Umstände machen es den Menschen in der Erdbebenregion nicht leicht auf eine bessere Zukunft zu hoffen. Die wirtschaftliche Lage hat sich zuletzt deutlich zugespitzt. Die hohe Inflation lässt die Preise im gesamten Land stark steigen. Überall sind verlassene Baustellen zu sehen, weil die Menschen kein Geld mehr haben, ihre Häuser fertigzustellen. Zurück bleiben Schulden, während die Wohnsituation unverändert ist.

Dies alles zu sehen prallt mit voller Wucht auf mich ein, lässt ein gewisses Gefühl von Hilflosigkeit zurück. Zu groß ist der Wunsch, dass alle diese herzlichen, gastfreundlichen, hart arbeitenden Menschen hier in eine Normalität nach der Naturkatastrophe zurückkehren und mit Hoffnung in die Zukunft blicken können. Unsere Arbeit hilft ihnen dabei, wird mir immer wieder versichert. Neben den fünf Familien profitieren noch viele mehr von engagiertem Rat und Tat unseres Projektkoordinators Javad. Vor allem aber: Die Betroffenen hier sehen und spüren, dass es im Ausland Menschen gibt, denen ihr Schicksal nicht egal ist. Die Anwesenheit einer internationalen Organisation wie humedica macht ihnen Hoffnung für eine bessere Zukunft.

Vielen Dank, dass Sie unsere Hilfe möglich machen!