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„Do you like Albania?“ – Gefällt Dir Albanien? – fragt mich Nrek, der mich in seinem Auto durch Tiranas Feierabendverkehr kutschiert. Ich bin seit drei Tagen in Albanien, um die Partner von humedica zu besuchen. „Ja, eigentlich schon…“ „…but you don’t want to live here, right?“ liest er meine Gedanken und beendet den Satz für mich – …aber Du willst hier nicht leben, stimmt’s? „Stimmt“, antworte ich etwas kleinlaut. Nrek weiß sofort, was ich meine. Wenn man einen sicheren Job hat, der ausreichend Geld einbringt, dann ist Albanien ein schöner Ort zum Leben. Aber was, wenn man hier eine Familie gründen will oder krank wird?

Wenn man in Albanien auf das staatliche Gesundheits- und Sozialsystem angewiesen ist wird es schwierig – also für alle, die krank sind, eine Behinderung haben oder einfach alt werden und von der Familie nicht finanziell unterstützt werden können. Oder die, die arbeitslos werden. Dann geht es ans Existenzielle. Dinge, die wir in Deutschland viel zu oft als selbstverständlich ansehen, gibt es hier nicht: ein Gesundheitssystem, das die Kinder und einen selbst ohne Schmiergelder versorgt und zwar zu einem guten Standard; ein Schulsystem, das kostenlos ist und eine Chancengleichheit für alle Kinder anstrebt; ein Sozialsystem, das sich auch um die Menschen kümmert, die darauf angewiesen sind.

Die Menschen hier leben unter teils extrem harten Lebensbedingungen. Während ich mich über den Schnee im Allgäu freue, bedeutet der Winter für viele Menschen in den Dörfern Albaniens bittere Kälte, in baufälligen Häusern, ohne Isolierung und Heizung. Hier in Fushë-Arrëz, im Nordosten des Landes, wo unser Partner tätig ist, dauert der Winter meist sechs Monate, mit oft meterhohem Schnee.

Viele junge, arbeitsfähige Albaner versuchen ihr Glück in der Hauptstadt Tirana oder im Ausland. Aber nicht die Alten, nicht die Kranken. Sie bleiben zurück, allein mit ihrer wachsenden Not und Hilfsbedürftigkeit. Das große Leid der Menschen hier macht mich nachdenklich, motiviert mich aber auch, in dem was ich tue und weshalb ich hier bin.

Vergessene Krise

Ich bin auf einer Monitoring-Reise. Als Verantwortlicher für die Versorgungshilfeprojekte bei humedica schaue ich regelmäßig bei unseren Partnerorganisationen vor Ort vorbei. Dort prüfe ich, wie wir unsere Lieferungen weiter optimieren können, und ob die Sachspenden so ankommen und eingesetzt werden, wie es geplant war.

In der Versorgungshilfe geht es vor allem um sogenannte „vergessene Krisen“ – andauernde Notsituationen, die nur wenig Aufmerksamkeit in den Medien erhalten und für die daher nur begrenzt Geldspenden eingehen. Um in diesen Notsituationen dennoch Hilfe leisten zu können, bemühen wir uns um Sachspenden. Alltägliche Dinge die vor Ort sinnvoll eingesetzt werden können, aber auch medizinische Hilfsgüter oder Medikamente. Und – dank der Großzügigkeit vieler Unternehmen, Einrichtungen und Privatpersonen, die uns dabei unterstützen – klappt das sehr gut, bereits seit der Gründung von humedica vor 39 Jahren.

Die Missionsstation Sankt Josef hilft

Ich befinde mich aktuell in der Missionsstation Sankt Josef in Fushë-Arrëz. Dort, im Nordosten des Landes, setzt sich Schwester Gratias aus Mindelheim seit 1995 für die Ärmsten in der Region ein. Die Stadt Fushë-Arrëz entstand 1953 als Arbeiterstadt für die Minen und Sägewerke im Umland. Als das kommunistische System zusammenbrach und die Kupferminen und das Sägewerke geschlossen wurden, wohnten hier um die 8.000 Menschen. Inzwischen wohnen nur noch knapp 3.000 Menschen hier, die Arbeitslosigkeit liegt bei etwa 80 Prozent. Das bedeutet für viele Menschen ein Leben am Existenzminimum.

Schwester Gratias kümmert sich um sie. Lebensmittel, Kleidung und sonstiger Bedarf werden verteilt. Baufällige Häuser werden mit Spenden aus dem Ausland – und teilweise dank der Unterstützung ehrenamtlicher Arbeitsteams – wieder bewohnbar gemacht. Die Missionsstation betreibt eine kostenfreie Ambulanz, die Medikamente werden zu einem Symbolbetrag abgegeben. Es gibt auch einen Kindergarten, in dem die Kinder drei warme Mahlzeiten am Tag bekommen sowie Näh- und Strickwerkstätten, um die Menschen mit Fähigkeiten auszustatten, mit denen sie ihren Lebensunterhalt wieder selber verdienen können. Zudem gibt Schwester Gratias immer wieder Medikamente und Verbandstoffe an die lokalen Krankenhäusern ab, damit diese ihre Patienten besser versorgen können.

Dringend benötigte Versorgungshilfe

humedica unterstützt die Missionsstation seit 2004. In dieser Zeit haben wir 134 Tonnen Hilfsgüter im Wert von über einer Million Euro dorthin geschickt. Dazu gehören Medikamente, Lebensmittel, Inkontinenzprodukte, Kleidung, Verbandstoffe sowie auch Alltagsgegenstände wie Decken und Matratzen.

Während meiner Monitoring-Reise stelle ich fest, dass wir mit unserer Hilfe teils nicht dieselbe nachhaltige Wirkung erzielen, wie in manch anderen Versorgungshilfe-Projekten, in denen wir mit unseren Hilfsgütern beispielsweise ein Entwicklungs- oder Bildungsprogramm unterstützen. Sollen wir also mit unseren Lieferungen hier aufhören?

Nein. Denn in meinen Gesprächen und Beobachtungen auf dieser Reise kann ich immer wieder feststellen, dass unsere Hilfe in Albanien dort ankommt, wo sie dringend benötigt wird. Jede Woche werden unsere Hilfsgüter eingesetzt, um Menschen zu helfen, die sich in Not befinden. Manchmal in Form von Lebensmitteln, die eine Mahlzeit ermöglichen, die sonst ausgefallen wäre. Ein anderes Mal in Form einer warmen Decke oder einer neuen Winterjacke, die den kalten Winter etwas erträglicher machen.

Natürlich wünschen wir uns, dass sich die Situation in Fushë-Arrëz nachhaltig verbessert – dass es wieder Arbeitsplätze und Zukunftsperspektiven für die Menschen dort gibt. Aber solange es nicht so ist, sind wir dankbar, vor Ort einen Partner zu haben, mit dem wir gemeinsam helfen können, diese Zeit zu überbrücken.

Helfen Sie Schwester Gratias und uns dabei, den Menschen in Albanien weiter zu helfen. Herzlichen Dank!