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Vor wenigen Tagen war wieder einer dieser Gedenktage. Weltflüchtlingstag. Hm! Man hört davon, für die kleiner werdende Zahl an Zeitungslesern vielleicht garniert durch einen Seite 3-Artikel mit ein paar echten oder auch irrelevanten Hintergrundinformationen. Und wenige Stunden später ist alles vergessen, überholt, schlichtweg ertrunken im Siegestaumel eines Fußballspiels oder des eigenen Alltags.
Eine Nachricht teilt das traurige Schicksal der gemeinen Eintagsfliege. Dabei handelt es sich um eine im Wortsinne Weltbewegung, etwas Welt bewegendes. Ein offensichtlicher Umstand, der unsere Gesellschaften über Generationen verändern wird.
Einer der einflussreichsten Historiker unserer Zeit und ordentliche Professor an der Universität zu Harvard, der Schotte Niall Ferguson, einer der Aufrechten, die es wagen, in Zeiten von Twitter und anderen aufregenden sozialen Medien 1000-Seiten-Bücher zu schreiben, nennt die aktuellen riesigen Flüchtlingsbewegungen in vielen Teilen unserer Erde „fundamental", die Auswirkungen würden alle Länder betreffen. Dabei sieht Ferguson diese tiefgreifenden Veränderungen nicht kritisch, nicht negativ, im Gegenteil. Er begreift sie trotz der vielen schwierigen Begleitumstände und tragischen Auslösermomente als Chance!
Warum aber werden wir in diesen Tagen einerseits Zeugen eines, objektiviert betrachtet, Ereignisses von weltweiter Bedeutung und andererseits interessieren wir uns nicht dafür? So hat es jedenfalls den Anschein, oder doch nicht?
Seit mittlerweile fast vier Jahren sind wir bei humedica in verschiedenen Ländern direkt mit der internationalen Flüchtlingsbewegung befasst, im Libanon, in Italien, etwas kürzer, aber auch schon über viele Monate auch in Serbien und Griechenland. Man ist leider geneigt, das kleine Wörtchen „natürlich" zu verwenden: Natürlich spüren wir auch Gegenwind, wenn wir unser Engagement thematisieren. Auch wenn dieser Gegenwind sicher kein Orkanpotenzial hat, sondern durchaus legitim ist in einer Demokratie, begreifen wir die kritischen Stimmen eben auch als Mutmacher und Bestätigung, das Richtige zu tun.
Wir werden immer den Schwächsten zur Seite stehen. Wir werden auch weiterhin versuchen, Vorurteile abzubauen, Verständnis zu wecken, den Blick zu schärfen für die andere Seite der Medaille. Vor allem aber werden wir weiterhin helfend eingreifen, wo immer es uns möglich ist. Wir können nicht anders! Wir wollen nicht anders! So entspricht es unserer Natur und unserem biblisch legitimierten Auftrag: Jesus selbst war Flüchtling. Das Buch der Bücher ist angefüllt mit klaren Handlungsanweisungen, wie wir uns Fremden gegenüber verhalten sollen. Sie macht uns Mut, legt Verheißungen auf gelebte Hilfe und definiert Liebe als Motivationsgeber, als Lebenseinstellung.
So nähern wir uns heute dem alten Thema auf eher ungewöhnliche Weise: Wir möchten unsere Einsatzgebiete im Rahmen der internationalen Flüchtlingshilfe kurz skizzieren und dann aufhören, über Flüchtlinge zu reden, sondern vielmehr einen zu Wort kommen lassen, der selbst zu einem wurde.
Zwischen Libanon und Italien
Pragmatische Direkthilfe
Flüchtlingshilfe im Jahre 2016 muss zwingend direkt sein und äußerst pragmatisch. Hilfe sollte sich grundsätzlich an den vorliegenden Bedarfen orientieren, der Erfolg von Unterstützungsprogrammen für Menschen auf der Flucht aber steht und fällt mit dem Bezug zum Alltag der Menschen.
Standort Libanon: Nicht größer als Hessen beherbergt der Libanon gut 1,5 Millionen Flüchtlinge, es gibt Stimmen, die sprechen sogar von knapp zwei. In jedem Fall verlangen die Umgebungsbedingungen Struktur unsd Ordnung bei der Umsetzung von Hilfe. Dank der freundlichen Unterstützung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland ist humedica imstande, diese gezielte, sehr alltagstaugliche Hilfe anzubieten. Organisiert von der Provinzstadt Zahlé aus werden rund 30 inoffizielle Flüchtlingssiedlungen von mobilen medizinischen Einheiten angefahren. Die Sprechstunde mit ärztlicher Betreuung gehört zur Grundversorgung der Menschen.
Standort Sizilien/Italien: Unser Projektpartner Gioventù in Missione kümmert sich auf vielfältige Art und Weise um die Menschen, die teils in Flüchtlingslagern, teils auf der Straße leben. Neben Hilfsgütern erhalten Menschen die Möglichkeit zu einem guten Start in neuer Umgebung, sie profitieren von Übersetzungsleistungen und vielfältiger anderer Beratung. Auch die Tagesanlaufstelle unseres zweiten Partners, Missione Tre V onlus, begegnet den Flüchtlingen in ihrer Not und leistet wertvolle Integrationsarbeit: Die Verteilung von Hilfsgütern wird zum Rettunganker, sehr wichtig ist die Begleitung der Menschen auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. Kurzum: Pragmatische Hilfe, die dringend benötigt wird.
Standort Westbalkanroute: Kaum eine Katastrophenhilfe in den vergangenen Jahren, die sich derart rasant verändert hat, bisweilen innerhalb weniger Stunden. Kaum ein Szenario, das so abhängig war von politischen Stimmungen und handfesten Entscheidungen. Nach einer kleinen Odyssee durch Ungarn, Mazedonien und Serbien, stellte sich schließlich Presevo an der serbisch-mazedonischen Grenze als passender Standort heraus. Von dort aus agieren unsere Einsatzkräfte, versorgen Flüchtlinge ebenfalls basismedizinisch. Nach Schließung der Grenzen wurde Idomeni zunächst zum traurigen Beispiel fehlender europäischer Kooperation und praktikabler Lösungen, später schließlich geräumt.
humedica war da, ist da und wird bleiben. Wir helfen, wann immer und wo immer es geht auf dieser unsäglichen Route.
Interview: „Wir sind nur Menschen"
Justice ist ein normaler Mittzwanziger, ein aufgewecktes Kerlchen. Kerlchen, weil man ob seiner Körpergröße von Einssiebzig, vielleicht auch nur Einssiebenundsechzig auf den Gedanken kommen könnte, Justice sei doch irgendwie jünger. Ist er aber nicht. Mit wachen Augen mustert er sein Gegenüber, beantwortet alle Fragen sehr präzise, wenngleich man ihm anmerkt, dass er nicht gerne über seine Situation spricht. Sein Heimatland ist Nigeria, er kommt aus dem Bundesstaat Abia, ganz im Süden des Landes gelegen. Mehr wird Justice nicht zu seiner Herkunft sagen. Wie er es nach Italien geschafft hat? Per Anhalter und andere Wege über Niger nach Libyen, von dort schaffte er es auf ein Boot, das tatsächlich sicher italienische Gefilde erreichte. Der Deutsche Christian Ludwig, der als Freiwilliger für ein Jahr im von humedica unterstützten Projekt „Open House“ auf Sizilien arbeitet, hat mit Justice gesprochen.
Es ist Sommer 2016, wir stellen Dir diese Fragen in Italien: Was hat Dich hierhin geführt?
Weißt Du, ich bin Christ. Und je nachdem, wo Du in Nigeria lebst, werden Christen massiv verfolgt. Es ging ja auch durch die internationalen Medien, was bei dieser Verfolgung alles passiert und wie blutig sie mitunter ist. Ich bin aus religiösen Gründen geflohen und hoffe, dass es auch in Europa ein nachvollziehbarer Grund für eine Flucht ist. Und diese Flucht ist mir nicht leicht gefallen.
Was ist Dein Plan? Wie und wo willst Du in fünf Jahren leben?
Eine gute Frage und eine schwierige Frage. Ich würde wirklich gerne wieder in meinem alten Beruf arbeiten. In Nigeria habe ich Bilder und Videos am Computer bearbeitet, auch Musik, war so eine Art Cutter. Aber wo darf ich in Frieden leben? Mir würde die Schweiz oder auch Deutschland gefallen.
Was bedeutet der Begriff „Heimat“ für Dich?
Heimat verbinde ich schon auch mit einem Ort, aber noch viel mehr mit Menschen. Heimat ist dort, wo meine Familie ist. Heimat ist dort, wo meine Freunde sind und wo ich Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen kann. Das erhoffe ich mir auch für meine neue Heimat.
In Europa gibt es überall viele Vorbehalte gegen Flüchtlinge; kannst Du das verstehen und was würdest Du diesen Menschen gerne sagen?
Vielleicht würde ich sie um Verständnis bitten wollen. Ihnen sagen, dass wir alle, die wir fliehen mussten, auch nur Menschen sind und der einzige Unterschied zu den Menschen hier vielleicht in der Hautfarbe liegt. Wir brauchen in erster Linie Verständnis für unsere schwierige Situation und den Entschluss, aus unserem Land zu fliehen. Und wir brauchen auch Liebe. Viele Leute haben vielleicht ganz falsche Informationen über uns Flüchtlinge und daher kommen dann die Angst und die Vorbehalte.
Welche Bedeutung hat das Projekt „Open House“ für Dich und Dein jetziges Leben?
„Open House“ hat mir auf vielfältige Weise geholfen in dieser schwierigen Situation. Vor allem ein Bibelkurs, an dem ich gerne teilnehmen wollte. Er hat mir geholfen zu verstehen, wer ich eigentlich bin und dass Gott mich liebt.
Kein Berg zu hoch
Sie machen den Unterschied
Uns geht es mit unseren Informationsbriefen in erster Linie um genau das im Namen enthaltene Verb: Informieren. Alle Freunde, Förderer, Einsatzkräfte sollen wissen, was nach ihren Gebeten, Zeit-, Sach- und Geldspenden passiert ist. Es geht uns mit jedem Bericht darum zu zeigen, dass wir alle gemeinsam einen gewaltigen Unterschied machen können, jeder Einzelne für sich kann das: Hilfe kommt immer an! Das ist die Kernbotschaft. Die Gewissheit.
Gleichzeitig bitten wir auch um Unterstützung. Wie eingangs bereits festgestellt, denken wir in diesen Tagen wahrscheinlich an ganz andere Dinge als Menschen auf der Flucht; dann doch eher an die Fußball-Europameisterschaft, den wohlverdienten Sommerurlaub. Wir wollen Sie davon gar nicht abhalten, das ist absolut in Ordnung so. Möglicherweise aber funktioniert beides und Sie geben uns mit Ihrer gezielten Unterstützung die Chance, Menschen auf der Flucht ein Stück Heimat zu schenken, Nächstenliebe, Freundlichkeit. Haben Sie vielen Dank dafür!