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Nach ihrem fünfwöchigen Hilfseinsatz für syrische Flüchtlinge im Libanon, blickt unsere Koordinatorin Nora Parasie zurück und erinnert sich an einen Tag in Camp Nummer 15. Ein Tag voll großem Leid und kleinen Lichtblicken:

Teil 2: Ein Tag in Camp Nummer 15

„Nach unserer morgendlichen Teambesprechung beladen wir die Autos. Heute fahre ich mit unseren drei Ärzten, zwei Apothekerinnen, unserem Field Officer Deeb und Übersetzerin Fatima in Camp Nummer 15. Unsere Hebamme Sandy ist mit Assistenzkoordinator Nader in einem anderen Camp.

Nach wenigen Minuten haben wir die Stadt Zahlé verlassen und sind in einer anderen Welt. Wir passieren auf Feldern entstandene, notdürftige Zeltsiedlungen, auf denen sich syrische Kriegsflüchtlinge aus teils eigenem, teils von nationalen und internationalen Organisationen gestelltem Material provisorische Unterkünfte gebaut haben. Für die Nutzung des Landes zahlen sie Miete an die jeweiligen Besitzer.

Heute Morgen wirkt alles trist und noch sehr ruhig. Unvorstellbar, dass es inzwischen allein in der Bekaa-Ebene über eintausend dieser Siedlungen gibt, in denen Menschen zum Teil seit vier Jahren Schutz vor dem nicht enden wollenden Krieg suchen, der nur wenige Kilometer entfernt tobt. Auf den verbliebenen Feldern sehen wir viele Menschen aller Altersgruppen bei ihrer Arbeit.

An einem der Camps halten wir an. Es ist Camp Nummer 15, in dem unser Team heute den dritten Tag in Folge verbringen wird. Am ersten Tag mussten sie ihre Arbeit aus Sicherheitsgründen abbrechen, weil das libanesische Militär auf der Suche nach illegalen Flüchtlingen war und Unruhen im Camp befürchtet wurden.

Wir parken unsere Autos vor dem Zelt des Shawishs – des Campleiters, der uns für diesen Tag sein Zuhause zur Verfügung stellt. Er ist noch dabei sich zu rasieren und bittet um einen Moment Geduld. Wenige Minuten später gibt er sein Zelt frei. Unsere beiden Autos sind in Windeseile von Kindern umringt, die freudig beim Ausladen helfen.

Eine Viertelstunde später hat sich die Familienunterkunft in zwei Sprechstundenzimmer inklusive Apotheke verwandelt. Vor dem Zelt treffen die ersten Patienten ein. Während Deeb mit der Registrierung der Patienten beginnt, bereitet sich das Team auf den besonders heißen Tag vor. Täglich sind die Mitarbeiter in anderen Camps und Zelten unterwegs und damit auch stets unterschiedlichen klimatischen und akustischen Bedingungen ausgesetzt. Und jeden Tag muss der Arbeitsplatz neu auf- und nachmittags wieder abgebaut werden.

Gemeinsam mit Fatima führe ich heute den letzten Teil unserer aktuellen Patientenumfrage durch. Es freut mich, dass heute alle Patienten mit der Behandlung und der Qualität der Medikamente zufrieden sind. Außerdem erklären mir einige ungefragt, dass sie sich von unserem Team respektiert und ernstgenommen fühlen. Den Menschen in ihrer Not trotzdem ein Stück Würde zu geben, das ist so wichtig, denke ich mir jedes Mal.

Ein zehnjähriger Junge erzählt mir, dass er nach Deutschland reisen möchte. Er fragt, ob ich ihm dabei helfen könne. Als Erklärung fügt er hinzu, dass er dort zur Schule gehen und spielen möchte. Ein legitimer Wunsch, denke ich. Später komme ich ins Gespräch mit einem Zwölfjährigen, der wegen einer verschleppten Bronchitis zu unseren Ärzten kam. Seit er im Camp wohnt, habe er keine Möglichkeit zur Schule zu gehen, sagt er. Eines von vielen Problemen innerhalb der Flüchtlingsbevölkerung.

Gestern erst habe ich beim monatlichen Meeting der hier aktiven Organisationen erfahren, dass die UN die Mittel für das World Food Programme drastisch kürzen wird. Die Lebensmittelkosten wurden in diesem Jahr bereits von 19 auf monatlich dreizehn Dollar pro Person runtergefahren, ab September werden nur noch maximal fünf Personen pro Haushalt versorgt. Nicht nur für die zehnköpfige Familie des zwölfjährigen Jungen bedeutet das ein Leben weit unter der Armutsgrenze.

Am Ende des Tages bleibt mir noch etwas Zeit, um mit den Kindern, die während der Patientenbefragungen an meinem Stuhl hingen, zu spielen. Ein kleines Mädchen nimmt auf dem anschließenden Weg zum Auto meine Hand: „Kommst du wieder?“, übersetzt Dr. Natalie ihre Frage.

Als ich schon im Auto sitze, erzählt die Kleine: „Das war schön mit dir zu spielen. Hier war schon einmal eine Organisation, die haben mit ganz vielen Kindern gespielt.“ Ich bin gerührt, wie sich das Mädchen in ihrem tristen Alltag auf die Lichtblicke konzentriert.“

Während für die Kinder in Deutschland in diesen Wochen die Schule wieder beginnt, fristen Millionen syrische Kinder ein perspektivenloses Leben auf der Flucht. Bitte unterstützen Sie unsere dringend notwendige Hilfe im Libanon mit einer Spende und ermöglichen Sie uns weiterhin, kleine Lichtblicke zu schenken. Vielen Dank!