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Die Arbeit als Koordinator in einem abgelegenen Flüchtlingslager birgt so manche unerwarteten Erlebnisse und Herausforderungen. Einer, der sich damit gerade täglich konfrontiert sieht, ist unser Koordinator Johannes Kortmann im äthiopisch-somalischen Flüchtlingslager Melkadida, in dem sich humedica mit Unterstützung des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland seit 2011 engagiert. Für uns hat er einen typischen Arbeitstag festgehalten:

„Als ich das erste Mal an der Unterkunft des humedica-Teams nahe Melkadida ankam, war ich von den vorherrschenden Umständen überrascht: Das Leben auf dem Gelände schien angenehm und friedlich. Die Sonne brannte nicht allzu erbarmungslos, ab und zu bewegte ein kräftiger Wind die Hitze und darüber hinaus bescherte uns ein Wasserrohrbruch unter unserem Gelände eine Art schlammigen Swimmingpool in einer Grube.

Da auch noch Freitag war und die humedica-Gesundheitsstation am Wochenende geschlossen bleibt, fühlte es sich fast so an, wie Zelturlaub in Äthiopien. Doch schnell kam der Montag, das Rohr wurde geschweißt, das Loch mit Erde gefüllt und ich fand mich in einem anstrengenden Arbeitstag wieder.

Am Morgen frage ich einen Flüchtling auf dem Weg zur humedica-Gesundheitsstation, wo er denn hin will. „Zu denen, die die Zähne ziehen.“, war die Antwort, die ich in Zukunft noch öfter hören würde. Zwar erinnern mich unsere zahnmedizinischen Räumlichkeiten wegen ihrer Ausstattung unweigerlich an mittelalterliche Bader, doch unsere beiden Krankenpfleger, Teddi und Freo, stören sich daran herzlich wenig. Sie haben während ihrer letzten Weiterbildung ihre Hausaufgaben gemacht und ziehen unsere Patienten nun mit der nötigen Betäubung und einer antibiotischen Anschlussbehandlung professionell die Zähne.

Da unsere Gesundheitsstation als einzige Einrichtung im Umkreis von 100 Kilometern eine zahnmedizinische Versorgung anbietet, nehmen die schmerzgeplagten Patienten zum Teil erhebliche Strecken auf sich, um sich von Freo und Teddi die Zähne ziehen zu lassen. Letztere ringen den mittlerweile schmerzfreien Patienten dann immer das Versprechen ab, in Zukunft doch mehr Einsatz bei der Zahnpflege an den Tag zu legen. „Aschi“„Alles in Ordnung“ ist die grundsätzliche Entgegnung auf diese Bitte.

In regelmäßigen Abständen liefert unser Eselskarren, der als Krankenwagen umfunktioniert wurde, auch Notfälle in die Gesundheitsstation. Heute ist es eine junge Frau, die sich auf einer Liege windend an den Kopf fasst. Unser Health Officer Melaku, unsere Krankenschwester Bruke und einige Familienmitglieder ringen sich um die Patientin. Wir bitten die Familie vor die Tür und Bruke überprüft ihre Vitalparameter. Es handle sich wohl um „eine Art spirituellen Anfall oder so etwas“, bringt mich Melaku auf den neuesten Stand. Genaueres wisse man noch nicht, aber die junge Frau scheint nicht in Lebensgefahr zu schweben.

Er erklärt mir, dass die Familie ihren „religiösen Boss“ verständigt hat und dieser sich bereits auf dem Weg zu uns befinden würde. Und tatsächlich trifft wenige Minuten später der „Boss“, eine Frau mittleren Alters ein, die sich unter den billigenden und neugierigen Blicken von Melaku der Patientin widmet. Die Familie ist zurück im Raum und so stehen wir in einer Traube um die Frau herum und werden Zeuge einer erstaunlichen Heilung.

Nach ein paar Sätzen auf Somali und einigem Händeklatschen, erwacht die Patientin wie aus einer Trance, wird sich der besorgten Runde um sich bewusst und errötet verlegen. Sollte sie sich weiterhin oder wieder schlecht fühlen, sei sie jederzeit willkommen, gibt Melaku ihr mit auf den Heimweg. Ich bin zwar nicht klüger als vorher, beschließe aber „wer heilt hat recht“ und schaue nochmal in unserer Sprechstunde vorbei.

Gerade wird dort eine junge Mutter untersucht, die seit einigen Jahren unter einer rheumatoiden Arthritis leidet. Ihre Handgelenke sind bereits so stark von der Krankheit zerstört, dass sie völlig versteift und unbeweglich sind. Neu sind die Schmerzen an ihren Fußgelenken, für die es unter den Umständen hier wohl keine zufriedenstellende Therapie geben wird. Mir wird noch einmal die Beschränkung bewusst, unter der wir hier arbeiten und so bleibt die Hoffnung, dass wir zumindest das Voranschreiten der Krankheit verlangsamen können.

Am Abend ist die lange Patientenschlange abgearbeitet und alle Mitarbeiter unserer Gesundheitsstation treffen sich am Carport. Diejenigen, die direkt im Flüchtlingslager leben, werden auf dem Weg abgesetzt, die anderen fahren zu unserer etwas außerhalb liegenden Unterkunft. Mit einem gemeinsamen Abendessen geht unser Tag zu Ende. Frisches Gemüse gibt es erst wieder nächste Woche, wenn die Fahrt in die Kleinstadt Negele ansteht. Und so gibt es Reis und Injera, den typisch äthiopischen Getreidefladen, der gleichzeitig Essen, Teller und Besteck ist.

Die Sonne geht unter und macht Platz für einen atemberaubenden Sternenhimmel. Staubig, wie ich bin, blicke ich nach oben und fühle mich vor den Elementen um mich herum ganz klein. Langsam wird es Zeit, meine Wasserflasche aufzufüllen und es mir unter meinem Moskitonetz bequem zu machen. Morgen wird ein anstrengender Tag!“

Um den somalischen Flüchtlingen in Melkadida zu helfen, nehmen unsere ehrenamtlichen Koordinatoren immer wieder enorme Anstrengungen auf sich. Wir bitten Sie deshalb herzlich um Ihre Unterstützung für dieses besondere Projekt inmitten der Wüste Äthiopiens. Vielen Dank!