Skip to main content

Neben den Katastropheneinsätzen machen sich jährlich mehrere humedica-Teams auf den Weg, um gemeinsam mit der Partnerorganisation Prison Fellowship International (PFI) Gefangene in Entwicklungsländern medizinisch zu betreuen.

Als Vorsitzender dieser in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässigen Organisation engagiert sich der Kanadier Ronald W. Nikkel für die Interessen Gefangener und deren Familien auf der ganzen Welt. Seit 1982 beschäftigt er in seiner Funktion als Leiter der Nichtregierungsorganisation mehr als 50.000 Ehrenamtliche in über 100 Ländern.

Ronald Nikkel verfügt unter anderem über einen Universitätsabschluss in Theologie und Psychologie. Heute möchte er mit Ihnen seine Gedanken über den Hunger in der Welt teilen.

Hunger…er darf und kann nicht stellvertretend erlebt werden.
Wer nie Hunger empfunden hat, kann niemals seine wahren Auswirkungen verstehen,
weder greifbare noch nicht greifbare.
Hunger trotzt der Phantasie; er trotzt sogar der Erinnerung.
Hunger wird nur in der Gegenwart empfunden.

(Elie Wiesel)

Hungrig – Bereit für Nahrung zu arbeiten!“ Als ich vor einiger Zeit an einem Sonntagmorgen die Kirche verließ, stand ein Mann in schäbigen Klamotten an der Straßenecke und trug ein Pappschild mit dieser flehenden und stillen Aussage um den Hals. „Tja, und wonach bist du wirklich hungrig?“, fragte ich mich selbst, als ich langsam an ihm vorbei ging.

Es ist so schwierig zu verstehen welcher wirkliche Hunger sich tatsächlich hinter den ausgestreckten Händen von Menschen wie der bettelnden Person auf der Straße versteckt; genauso ist es schwer zu begreifen warum wir unseren Hunger mit einem Mercedes Benz, einer goldenen Rolex Uhr oder schicken Gucci Schuhen stillen.

Laut einer neuen Studie der Vereinten Nationen zum Thema Hungern, leben wir in einer Welt mit mehr als 870 Millionen Menschen, die latent hungern und unterernährt sind. Nahezu eine von acht heute lebenden Personen hat im wörtlichsten Sinne nicht genug Nahrung zur Verfügung, um gesund und aktiv zu bleiben.

Hunger ist nicht nur in Flüchtlingslagern und den ärmsten Nationen dieser Erde weit verbreitet, sondern steht auch bei einigen der reichsten Länder der Welt auf der Tagesordnung. „Feeding America“ geht von mehr als drei Millionen Kindern unter fünf Jahren aus, die täglich hungrig ins Bett gehen.

Hunger kann solch eine treibende Kraft entwickeln, dass einige Menschen alles tun würden, um zu überleben: betteln, sich etwas leihen oder sogar stehlen. Hunger kann eine so schlimme und permanente Realität für manche Menschen sein, dass ihr Tagesablauf einzig und allein auf die Nahrungsbeschaffung ausgerichtet ist.

Nicht selten habe ich Männer und Frauen getroffen, die in Gefängnissen auf der ganzen Welt inhaftiert sind, nur weil sie Essen gestohlen oder andere Straftaten begangen haben, um ihre hungernden Familien zu ernähren.

Jeder schwerwiegende und lang anhaltende Hunger kann sich zu einer treibenden Kraft entwickeln, die manche Menschen dazu bewegt, auf das Grundbedürfnis Nahrung zu verzichten, nur um einen anderen Hunger zu stillen.

Nachdem sie jahrelang in Gefangenschaft gewartet haben, ohne dass ihnen auch nur eine Verhandlung oder ein Schuldspruch zuteil wurde, sind circa 50 Insassen von Guantanamo Bay in einen mittlerweile drei Monate anhaltenden Hungerstreik getreten, und erhoffen sich damit mehr Aufmerksamkeit für ihre Forderung nach Gerechtigkeit und einer fairen Behandlung.

Ungeachtet des eigenen Standpunkts weist diese Situation auf die Tatsache hin, dass eine Person so hungrig nach einem bestimmten Ziel werden kann, dass dieses ihr zentrales Verlangen oder ihre flehende und antreibende Kraft des Lebens wird, in gleicher Weise wie es die Nahrung für so viele andere Menschen ist.

Mir hat es nie an Essen gefehlt, noch kann ich mich daran erinnern über einen längeren Zeitraum nach einer ganz bestimmten Sache gelechzt zu haben. Allerdings kenne ich Menschen, die süchtig sind nach Alkohol, Drogen, Sex, Aufmerksamkeit, Macht oder Anerkennung und ihre Abhängigkeit verkörpert ihre innerste Sehnsucht – ihren Drang, einen tiefen Hunger zu befriedigen, den Nahrung allein nicht stillen kann.

Bei Hunger geht es nicht nur um das körperliche Überleben. Ohne den Hunger nach Lebensmitteln würden wir in kürzester Zeit unternährt sein; ohne den Hunger nach Liebe würden wir uns asozial entwickeln; ohne den Hunger nach Wahrheit würden wir realitätsfremd werden; ohne den Hunger nach Wissen würden wir ungebildet bleiben.

Auch Jesus spricht von einem Hunger, der immense persönliche, soziale und globale Auswirkungen mit sich bringt. Es ist der Hunger oder die Begierde nach einem richtigen Leben, nach einem Leben mit funktionierenden Beziehungen zu anderen, nach Gerechtigkeit.

Jesus fordert die Menschen also zu solch einem Hunger und Durst nach Gerechtigkeit heraus, dass dieser sich zu einer treibenden Suche und organisierenden Kraft in ihrem Leben entwickelt. Ich frage mich, was es wirklich bedeutet, von einem Hunger nach Gerechtigkeit motiviert, wenn nicht sogar angetrieben zu sein. Wie fühlt sich diese Art von Hunger an? Wie sieht er aus? Wie würde ich mein Leben führen, wenn der Hunger nach Gerechtigkeit das innerste Verlangen meines Daseins wäre?

Würde ich mich nach einem Ende von parteipolitischen Auseinandersetzungen sehnen, nach einem Ende von Gewalt zwischen Menschen und Nationen; nach einem Ende von einer Ungleichheit, die manche Menschen gesättigt und andere im Elend zurück lässt; nach einem Ende von religiöser Benachteiligung und Diskriminierung?

Und würde ich mir Güte, Großzügigkeit, Vergebung, Frieden und Wohlwollen zwischen allen Menschen an allen Orten wünschen? Und was muss ich tun, wenn dies die Symptome meines Hungers sind? Wie würde ich leben um diesen Hunger zu stillen?

Glückselig, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten,
denn sie werden gesättigt werden.
Glückselig die Barmherzigen,
denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren.
Glückselig die Friedensstifter,
denn sie werden Kinder Gottes heißen.

(Matthäus 5:6-9 New International Version)