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Vier Wochen lang arbeitete Dr. Wolfgang Töpel freiwillig in sudanesischen Flüchtlingscamps, Gesundheitsstationen und Kliniken. Vier Wochen lang war er täglich mit unvorstellbarem Leid konfrontiert. Am Ende blieb neben unzähligen Erfahrungen eine sehr bewegende Entwicklung: Aus Fremden wurden Freunde.

"humedica hat mir einen Dolmetscher bereitgestellt, einen ehemaligen Lehrer. Sein Name ist Yusif, er trägt Turban und Dschelabiyah und ist wie alle Sudanesen ein freundlicher und humorvoller Mensch. Allerdings muss er unbedingt von Zeit zu Zeit eine Zigarette rauchen oder ein Schwätzchen halten. Sein Englisch ist nicht schlecht, allerdings mit stark arabischem Akzent, was für mich anfangs sehr gewöhnungsbedürftig war.

Meine Unterkunft finde ich im so genannten Gästehaus, einer Männerunterkunft. Ich bin allein unter Sudanesen, von denen nur wenige Englisch sprechen. Habe kein eigenes Zimmer, die Duschwanne ist eine alte Badewanne, die nur dort noch weiß ist, wo die Füße sie blankscheuern, die Küche besteht aus einer Feuerstelle und zwei Regalbrettern an der Wand. Strom gibt es von 10 bis immerhin 24 Uhr. Glücklicherweise sind einige Ventilatoren angebracht. Nach ein paar Tagen der Eingewöhnung bin ich dankbar, dass ich alles habe, was man braucht: Fließendes Wasser, eine Dusche, einen Kühlschrank und Verpflegung. Das sudanesische Essen ist sehr schmackhaft und bis heute ist mir ein Rätsel, wie man mit so einfachen Mitteln derart gut kochen kann.

Auch die Sudanesen im Gästehaus sind freundliche Menschen, sie begrüßen mich herzlich und ausgiebig, lachen gerne und laut; besonders, wenn man versucht, Arabisch zu lernen. Aber bald weiß ich mich zu rächen: Fußball ist ihr großes Thema und ich bestehe darauf, dass "Michael Ballack’" und "Bastian Schweinsteiger" korrekt ausgesprochen werden.

Wir sind schnell Freunde: sie nehmen mich mit zum Markt, wir essen gemeinsam ihre Delikatesse Bakumba. Sie kaufen mir eine Dschelabiyah und wir haben Spaß mit den Fotos, die wir dann gemeinsam mit der Digitalkamera machen. Ein weiterer Höhepunkt ist der Fahrradausflug ein paar Kilometer aufs Land, wo mir mein Dolmetscher zeigt, wie er im Nebenerwerb Lehmziegel brennt. Wir begegnen einer Frau mit einem riesigen Kropf und ich bestelle sie gleich ins Krankenhaus. Wir werden für sie eine Operation organisieren.

Eines Tages ensteht Unruhe vorm Krankenhaus. Draußen vor der Stadt ist ein Lkw umgefallen. Da es keine Busse gibt, sitzen die Menschen hoch oben auf der Ladung der Lkws und sind jetzt heruntergestürzt. Sie werden auf einen anderen Lkw geladen und so erreichen 10 Verletzte mit Dutzenden aufgeregter Menschen unser Krankenhaus. Eigentlich wären wir heute nur 2 Ärzte gewesen, doch ein ägyptischer Chirurg hat gerade auf der Durchreise hereingeschaut. Er hilft uns und ich denke: "Gott sei Dank!" und meine das auch genau so. Zu dritt nähen wir, geben Schmerzspritzen und machen Gipsschienen.

Das Krankenhaus in Kass hat für deutsche Begriffe einige bemerkenswerte Besonderheiten: Gegründet vor etwa 20 Jahren von den Johannitern ist es mittlerweile etwas heruntergekommen. Es gibt kein Fieberthermometer, kein Händedesinfektionsmittel, die Waschbecken sehen so ähnlich aus wie meine Duschwanne und alles ist, dank ständigem Wind und zumeist scheibenlosen Fenstern, staubbedeckt. Operiert wird, wenn die Stromversorgung funktioniert. Der Patient erhält einfach eine Spritze. Wenn er nicht gleich ohnmächtig ist, gibts noch eine. Einen Narkosearzt gibt es nicht. Auf der Kinderstation liegen die Mütter bei ihren Kindern in den normal großen Betten, die Kinder sind ruhig und zufrieden. Die Angehörigen versorgen die Patienten mit Essen. Wieder wundere ich mich, wie viel gutgeht und wie viele Menschen gesund werden.

Ich erzähle ihnen, dass ich von Hause aus Herzspezialist bin. Sie haben sogar ein EKG, aber das ist im so genannten Store und der Mann mit dem Schlüssel ist heute nicht da. Auch am nächsten Tag ist er nicht da. Das EKG-Gerät habe ich in vier Wochen nie zu Gesicht bekommen. Das Ultraschallgerät aber ist nicht weggeschlossen. Ich entferne die staubbedeckte Schutzhülle und nehme es in Betrieb. Da viele Patienten schwanger sind, dauert es nicht lange, bis wir das erste Baby sehen. Das spricht sich rasch rum und bald muss ich täglich irgendeine Schwangerschaft bestätigen, ausschließen oder den Hebammen sagen, in welche Richtung der Kopf des Babys liegt. Einmal finden wir drei Köpfe auf einmal.

Mit der Zeit werden das Krankenhauspersonal und ich trotz der Sprachbarriere gute Freunde. Mein Dolmetscher fragt mich eines Tages vor versammelter Runde, ob ich nicht eine sudanesische Frau heiraten möchte und übersetzt die Frage auch noch ins Sudanesische. Ich lehne etwas verlegen ab und werde gleich darauf belehrt, dass im Sudan ein Mann 4 Frauen haben darf.

Ich verweise darauf, dass man in Deutschland schwer bestraft wird, wenn man mit mehr als einer Frau verheiratet ist und ernte nur lautes Gelächter. Sie finden das offenbar doch etwas kleinlich. Ich müsse nur in 14 Tagen wiederkommen, meinen sie, sie würden schon alles arrangieren. Ich denke, ich werde wiederkommen - aber nicht in 14 Tagen."

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