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Eine Familie vor ihrem Haus am Omofluß in Südäthiopien
Daniel Reiter

Ursprünglich, kulturell vielfältig, „authentisch“: Die ländliche Süd-Omo-Region in Äthiopien, die auch als Wiege der Menschheit bekannt ist, fasziniert viele aufgrund ihrer Unberührtheit. Doch diese Ursprünglichkeit hat ihren Preis: Wo die Natur ungestört bleibt, ist auch das nächste Krankenhaus weit entfernt. Wie so eine Gesundheitsversorgung trotzdem funktionieren kann.

Das Leben der Menschen in der Süd-Omo-Region in Äthiopien richtet sich nach dem Fluss Omo: Wie eine Lebensader schlängelt er sich 760 Kilometer von seinem Ursprung im Äthiopischen Hochland westlich der Hauptstadt Addis Abeba Richtung Süden in das Tal, das nach ihm benannt ist, bevor er in Kenia in den See Turkana mündet. Der Fluss scheint zu atmen: Er überschwemmt das Tal regelmäßig, um anschließend wieder in seine Ursprungsform zurückzukehren.

Daniel Reiter

Wenn sich Touristen in diese einsame Region verirren, dann häufig aufgrund der kulturellen Vielfalt. Mit „Stammestrekking“ wirbt ein Reiseveranstalter, ein anderer mit den „authentischen Völkern des Omo-Tals“, die für ihre Körperkunst bekannt sind. Unabhängig davon, ob man solche Reiseangebote nun gut findet, steht eines fest: Die Menschen im Omo-Tal haben ihre Traditionen weitergegeben und leben sie bis heute.

Mit dem Fluss kommen Nahrung – und Moskitos

„Viele Völker in Süd-Omo sind Pastoralisten, also Hirtenvölker, die zeitweise von Ort zu Ort ziehen“, erklärt humedica-Projektmanagerin Carmen Wolf, die selbst mehrere Male vor Ort war. So erschließen sie immer wieder neue Weidegründe für ihr Vieh in der von Buschland und Gras geprägten Halbsavanne. Ihr Weg führt sie regelmäßig auch zu kleinen Dörfern, wo sie dann zum Beispiel Hirse anbauen.

Daniel Reiter

Der Omo bringt viel Gutes für die Menschen vor Ort. Doch das Klima gefällt auch anderen Lebewesen. Überall flirrt und fliegt es, zahlreiche Insekten umschwirren Mensch und Tier im Omo-Tal. Nicht nur nervig, sondern sogar gefährlich sind Mücken, die den Malaria-Erreger weitertragen und viele Menschen anstecken. Aber auch andere Krankheiten wie Lungenentzündungen, Atemwegserkrankungen, Darmkrankheiten und Typhus machen der Bevölkerung zu schaffen.

„Das medizinische Wissen muss mitwandern“

Bei der Heilung vertrauen die Menschen im Omo-Tal ebenso auf ihre Traditionen wie in allen anderen Lebensbereichen. Wie jede Heilkunde hat jedoch auch diese traditionelle ihre Grenzen. Doch was wäre die Alternative? Die Wege bis zur nächsten Siedlung sind weit und Straßen praktisch nicht vorhanden. Ein Krankenhaus zu erreichen, gleicht einer Utopie: Teilweise 300 Kilometer müssen dafür zu Fuß oder, wenn er denn zur Verfügung steht, mit einem Eselskarren überwunden werden.

Daniel Reiter

An dieser Stelle setzt humedicas Hilfe an; Schulmedizinisches Wissen soll das Wissen der Heiler ergänzen. „Zwei große Herausforderungen in dieser Region sind einerseits die Infrastruktur, die kaum vorhanden ist, und andererseits, dass die einzelnen Gruppen nicht dauerhaft an einem Ort leben“, erläutert Wolf die Überlegungen, die am Anfang des Projektes standen. „Gleichzeitig macht es keinen Sinn, einfach an speziellen Orten eine Gesundheitsstation anzubieten, zu der Hilfesuchende gehen können. Das Wissen muss mit den Gruppen mitwandern.“

Die Lösung: Das Krankenhaus in Jinka in Süd-Omo hat mehrere Gesundheitszentren, die ihm zugeordnet sind. Von dort aus fährt immer wieder medizinisches Personal zu den einzelnen Dörfern und tauscht sich mit ihnen aus. Das Projekt trägt auch schon erste Früchte. Wolf freut sich darüber: „Wir haben schon einige Rückmeldungen erhalten und der Austausch zwischen den Heilern, dem Personal der Krankenstationen und dem Trainingsteam wird von allen Parteien sehr positiv wahrgenommen.“ Sie hofft, dass langfristig so mehr Menschen in dieser sozio-ökonomisch schwachen Region, eine umfangreichere Gesundheitsversorgung erhalten können.

Ein Krankenhaus ohne Strom? Nein, Danke!

Daniel Reiter

Weitab von der Hauptstadt Äthiopiens mangelt es nicht nur an Straßen, auch die Krankenhäuser und -stationen sind teils schlecht ausgestattet. Laut Wolf sind das dadurch keine attraktiven Arbeitsplätze – es finden sich kaum Mitarbeiter. Die Abgelegenheit der Region ist eben nur für Touristen reizvoll. Wenn man hier medizinisch sinnvoll arbeiten soll, ist das hingegen ein echter Standortnachteil. Deshalb investiert humedica neben dem medizinischen Austausch auch in Equipment und grundlegendste Ausstattung wie eine Solaranlage, die zuverlässig für Strom sorgt.

Einer, der trotz der schwierigen Umstände bereits als medizinischer Mitarbeiter im Team arbeitet, ist Gebeyehu Gedeno. Er ist aus Überzeugung nach Süd-Omo gegangen: „Ich helfe den Menschen in diesem Gebiet, weil sie mehr Hilfe brauchen als die Menschen in der Stadt. Zum Beispiel ist die medizinische Grundversorgung nicht zugänglich und verfügbar. Die Menschen, die an diesem abgelegenen Ort leben, sind anfällig für zahlreiche Krankheitsausbrüche.“

Wenn man zusehen muss, wie ein Kind stirbt

Daniel Reiter

Ein Erlebnis ist ihm dabei besonders im Gedächtnis geblieben: „In einem der Gesundheitszentren hatte ich eine Patientin, die erst sechs Jahre alt war. Sie hatte Cholera und befand sich in einem kritischen Zustand. Wir, das gesamte Gesundheitspersonal, halfen ihr die ganze Nacht. Aber sie starb am Morgen, weil es im Gesundheitszentrum und in der Apotheke des Gesundheitsamtes zu dieser Zeit keine Infusionsflüssigkeit gab. Daran werde ich mich immer erinnern. Der Ausbruch der Cholera und die doppelte Belastung durch Unterernährung und Malaria sowie der Mangel an Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene sind nach wie vor die Hauptprobleme der Menschen in Süd-Omo“, macht sich Gedeno Sorgen. Der schwankende Wasserstand des Omo bringt eben nicht nur fruchtbare Erde und Segen, sondern ist gesundheitlich manchmal auch ein Fluch.

Das dramatische Erlebnis, das Gedeno bis heute beschäftigt, zeigt, wie wichtig eine stabile Gesundheitsversorgung ist, aber auch gesundheitliche Aufklärungsarbeit. Wie in dem Fall des sechsjährigen Mädchens kommen die Menschen oft erst in die Gesundheitsstationen, wenn es ihnen schon sehr schlecht geht – dann, wenn es manchmal schon auf der Kippe steht. Mit seiner Arbeit, hofft Gedeno einen ersten Grundstein für die gesundheitliche Zukunft der Region zu legen. Umso mehr freut er sich, wenn er Menschen helfen kann und sie zufrieden sind mit seiner Arbeit.

„Die Schwangeren kommen Tage oder Wochen vor der Geburt“

Daniel Reiter

Im Bereich der Mutter-Kind-Gesundheit hat humedica bereits vor langem den Grundstein mit einer Gesundheitsstation in Süd-Omo für die Volksgruppe der Kara gelegt. Der Fokus lag vor allem auf der Hilfe bei Geburten, die inzwischen gerne angenommen wird – aller Mühen zum Trotz: „Die Schwangeren kommen Tage oder Wochen vor der Geburt in eine der Gesundheitsstationen. Wann genau es so weit ist, wissen sie vorher ja nicht. Sie laufen dafür hochschwanger viele Kilometer, um dann bei der Geburt medizinische Unterstützung zu haben“, erzählt Wolf.

Wie wichtig eine medizinische Betreuung gerade in diesem Bereich ist, zeigen Statistiken. Die sogenannte Müttersterblichkeit, also der Tod einer Frau während der Schwangerschaft oder 42 Tage nach Schwangerschaftsende, ging in Äthiopien zwischen 2000 und 2020 um 72,6 Prozent zurück. 2020 starben bei 100.000 Lebendgeburten „nur noch“ 267 Frauen – auch dank Qualitätsverbesserungen von medizinischen Einrichtungen sowie Coaching von Gesundheitspersonal. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Müttersterblichkeit bei unter vier Frauen je 100.000 Lebendgeburten.

Die Süd-Omo Region ist auch als Wiege der Menschheit bekannt. Einige der ältesten Funde der Spezies homo sapiens stammen aus dem Omo-Tal. In Anbetracht dieser besonderen Geschichte wird humedica, ja sollten wir alle weiterhin dafür kämpfen, dass die Menschen dort alle gesundheitliche Hilfe erhalten, die sie brauchen. Damit das Leben am Omo weiterhin pulsiert und wächst.